Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
Neun – Thai! Dir die Süßigkeiten vorenthalten! Zehn – Thai! Elf– Thai! Dir die Kosmetik wegnehmen! Zwölf– Thai!
    »Warum hast du dich ausgezogen?«, fragte Martin, wobei er voller Genugtuung gewahrte, wie Irina errötete.
    »Eine Frau hat kein Recht, sich bekleidet im Tempel der Geddarn aufzuhalten«, antwortete der Dio-Dao in Azurblau leise. »Eine Frau hat überhaupt kein Recht, Kleidung zu tragen … Folglich haben wir verlangt, dass sie sich auszieht. Keine Sorge, wir sind an ein Keuschheitsgelübde gebunden und werden uns an deiner Frau nicht vergreifen.«
    »Ich bin nicht seine Frau!«, schrie Irina, doch der Dio-Dao schenkte ihren Worten keine Beachtung. Das war übrigens nicht erstaunlich. Der Glaube der Geddarn, der in diesem Tempel gepflegt wurde, gestand den Frauen nur wenige Rechte zu.
    »Was für ein Keuschheitsgelübde?«, konnte Martin sich nicht verkneifen zu fragen. »Ihr verfügt über ein ererbtes Gedächtnis. Wollt ihr wirklich sterben, ohne es an eure Nachfahren weiterzugeben?«
    »Frauen dürfen dem ThaiGeddar nicht dienen. Wir sind jedoch keine Frauen, sondern Hermaphroditen«, antwortete der Priester stolz. »Der Dienst an ThaiGeddar verbietet körperliche Nähe. Wir gebären jedoch aus uns selbst heraus – das ist durch kein einziges Gebot im Heiligen Buch des ThaiGeddars untersagt.«
    Martin atmete geräuschvoll aus. Ja, das stimmte vermutlich. Und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedeutete es eine schreckliche Verzerrung der moralischen Vorstellungen der Dio-Daos.
    Aber diese wahnsinnigen Dio-Daos dienten dem Gott der Geddarn und handelten wie Geddarn.
    »Ira, nimm deine Sachen, geh hinaus und warte dort auf mich«, bat Martin sie.
    »Nein!«, widersprach Irina scharf.
    Martin bedrängte sie nicht. Unversehens tauchte vor seinem inneren Auge das Bild auf, wie die aus dem Schwertgriff hinaustretende Irina von einer anderen Gruppe halbverrückter Dio-Daos geschnappt und fortgeschleppt würde … beispielsweise zu der Schale mit dem lodernden Feuer hin.
    »Was wollte sie von euch?«, fragte Martin.
    »Diese unglückliche Frau«, brachte der Dio-Dao mitleidig hervor, worauf Irinas Hand erzitterte, »wollte des ThaiGeddars teilhaftig werden. Sie bat um die Erlaubnis, in seinem Namen sterben zu dürfen, damit sie gemäß des alten Versprechens des ThaiGeddars auferstehen könnte.«
    »Aber ihr habt euch geweigert, ihr zu helfen«, schlussfolgerte Martin.
    »Selbstverständlich.« Der Dio-Dao nickte. »Das Versprechen des ThaiGeddars gilt nicht für Frauen. Weibchen können ihm nicht dienen.«
    Martin brach in schallendes Gelächter aus. Irina bedachte ihn mit einem versengenden Blick, die Dio-Daos warteten still ab, doch Martin lachte lauter und lauter. Hoch lebe die politische Korrektheit! Hoch lebe die Gleichheit der Geschlechter! Aber wer mit einer fremden Philosophie und Religion experimentieren wollte, sollte sich zunächst davon überzeugen, ob er – oder sie – auch im richtigen Hemd steckt!
    Martin lachte so lange, bis Irina anfing zu weinen. Leise, fast lautlos. Das hätte der Jungfrau Durowa zur Ehre gereicht, die sich während des Kriegs gegen Napoleon als Chevaliergardist verkleidet hatte und dann vom ganzen Husarenregiment verhöhnt wurde.
    »Entschuldige, Ira«, bat Martin, nachdem er zu lachen aufgehört hatte. »Verzeih mir. Aber ich bin wie ein Idiot hierher gerannt … Ich fürchtete, dich tot vorzufinden … schon wieder.«
    »Du Idiot!« Zornig sah Irina ihn an, nach wie vor weinend. »Warum kommst du mir ständig in die Quere?!«
    »Was soll das denn heißen?«, empörte sich Martin. »Bin ich dir auf Bibliothek in die Quere gekommen, als ich deinen Mörder erschossen habe? Oder auf Arank, wo dein Assistent mich beinahe abgemurkst hätte? Auf Prärie 2, wo du dich in den Kugelhagel gestürzt hast? Du jagst bald diesem, bald jenem Geheimnis nach. Du versuchst, völlig nebenbei die Rätsel zu lösen, mit denen sich die gesamte Menschheit abmüht! Was stimmt mit dir nicht? Du bist jung, schön, klug, warum führst du dich da wie eine Närrin auf … und wie ein Blaustrumpf …«
    »Das verstehst du nicht!«, flüsterte Irina und biss sich auf die Lippe. »Die Zeit naht ihrem Ende, aber das versteht niemand von euch …«
    Beruhigend tätschelte ihr Martin die Schulter – und ertappte sich selbst dabei, wie er etwas ganz anderes wollte, als die junge Frau zu beruhigen.
    »Wir gehen jetzt hier weg, Irina, und du erzählst mir alles«, bat er.

Weitere Kostenlose Bücher