Spektrum
Dickmilch. Als Martin letztere probierte, geriet er in Entzückung, handelte es sich doch um echten kasachischen Kumys.
»Köstlich«, kommentierte Martin, der das Fleisch dick mit Senf bestrich. Viele meinen, Pferdefleisch habe einen widerwärtigen Geschmack. Die armen Dummköpfe! Sie essen das Fleisch heiß, möglicherweise trinken sie dazu sogar eine Brühe. Pferd schmeckt jedoch nur in kaltem Zustand – und dann können weder Rind noch Schwein mit ihm konkurrieren.
»Dich konnte er also auch nicht schockieren«, stellte Irina fest. »Der Wirt hat einen seltsamen Humor. Wo er nun schon mal das Krepierte Pony führt, meint er, alle Gäste zu Pferdefleisch einladen zu müssen.«
Martin schüttelte den Kopf und setzte bereits an, sich über die gesunden Eigenschaften von Pferdefleisch auszulassen, über seine Unersetzlichkeit bei der Herstellung von diversen Rohwurstsorten, doch dann fiel ihm der Begriff »Snob« ein, der seine Akte zierte, worauf er die vorbereitete Rede zusammen mit einem Stück Pferdefleisch hinunterschluckte.
»Das dürfte frisch gebackene Touristen irritieren«, fuhr Irina fort. »Aber du bist schon in so vielen Welten gewesen … Hast du von dem Schlüssel gehört, Martin?«
Martin nickte.
»Das ist er«, sagte die Frau und hielt ihm eine Halskette hin. Martin hatte schon zuvor bemerkt, dass Irina drei Ketten trug. Da war natürlich die eine mit dem Kreuz, dann die mit dem Jeton des Reisenden. Die dritte hatte er für schlichten Schmuck gehalten.
Doch wie sich zeigte, hing an ihr der sogenannte Schlüssel.
Er war kleiner, als Martin ihn sich vorgestellt hatte, noch nicht einmal ein Bleistift, eher ein Stummel. Ein feiner durchscheinend dunkelbläulicher Zylinder mit trüben Einsprengseln und einem Loch, durch das die Kette gezogen war.
»Was soll das denn für ein Ding sein?«, fragte Martin überflüssigerweise. Sicher, auch der Purpurstaub hatte ihn nicht stärker beeindruckt – aber immerhin war von dem noch eine gewisse Aura des Fremden ausgegangen. Hier hingegen …
»Gefällt er dir nicht?«, fragte Irina mit einem Lächeln.
»Kinkerlitz aus Glas«, verkündete Martin das Urteil. »Wenn im Kino der Held ein solches Ding gefunden hätte, wäre sofort klar: Das ist der Schlüssel vom Hauptsafe der Außerirdischen. Oder ein Zünder, der vom Urknall übrig geblieben ist. Aber wir befinden uns nicht in einem Film. Irka, das ist einfach Kinkerlitz aus Glas!«
»Stimmt«, bestätigte Irina leise. »Ich habe ihn in der Station gefunden, als ich hierhergekommen bin. Im Mülleimer.«
Martin riss die Augen auf. »Jemand hat ein wertvolles Artefakt in den Mülleimer geworfen?«
»Wer sagt dir denn, dass das ein wertvolles Artefakt ist?«, wisperte Irina. »Das ist Müll, einfach nur Müll. Wenn auch außerirdischer.«
»Willst du die Händler übers Ohr hauen?« Martin erstarrte. »Wenn sie erfahren …«
»Ich habe nicht vor, jemanden zu betrügen«, antwortete Irina mit einem sanften Lächeln. »Und du sprich um Gottes willen leiser! Ich habe niemals behauptet, das Ding in einem der Safes gefunden zu haben. Ich habe es nur hier und da hervorgeholt und gesagt: Das habe ich gefunden. Was sich die Leute dann ausdenken, ist nicht mein Problem.«
»Weshalb?«, fragte Martin nach kurzem Schweigen.
»Also, ich glaube Folgendes.« Irina wurde ernst. »Talisman ist nicht Bibliothek. Dieser Planet ist nicht tot. Hier gibt es einen seltsamen Nebel … hier sind sogar die Felsen unter deinen Füßen Elektrizitätswerke. Die Safes funktionieren … und du findest nicht nur Staub in ihnen, das kannst du mir glauben! Wenn diese Welt noch von der letzten Expansion der Schließer übrig ist, dann muss es etwas in ihr geben. Etwas sehr Wertvolles. Vielleicht ist das eine Art Steuerzentrale für das gesamte Imperium der Schließer?«
»Sie haben kein Imperium«, brummte Martin, der sich Kumys einschenkte. »Sie haben einen gemütlichen Planeten und Tausende von Schiffen. Das war’s! Und wenn es eine Zentrale gäbe, würden sie keine Horden von Wilden hinlassen, damit die in der Erde herumbuddeln.«
»Weshalb ist Talisman dann so wichtig?«, fragte Irina, statt einen Streit anzufangen. »Denn er ist wichtig! Wir müssen das Geheimnis einfach rauskriegen. Und wie ginge das am einfachsten?«
»Indem wir hier ein, zwei Jährchen leben«. Martin ließ einen nachdenklichen Blick durch die Kneipe schweifen.
»Indem wir jemanden kennenlernen, der schon viele Jahre auf Talisman lebt!«, hielt Irina
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