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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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gelebt«, versicherte Irina.
    »Ich trete an den Zaun des Hofs heran … ein flacher Zaun, den man nicht ernst nehmen kann, mit dem man sich nicht gegen jemanden schützt oder abschottet. Ich sehe den Hügel hinunter, und plötzlich erblicke ich um mich herum ein Meer. Kannst du dir das vorstellen? Ein Meer, das hier doch eigentlich nicht sein kann … Und ein solches Wohlgefühl durchströmt mich, dass ich zu bleiben beschließe. Für immer. Doch mit einem Mal erinnere ich mich, dass ich keine Fahrkarte gekauft hatte. Also hatte ich kein Recht, hierherzukommen. Ich bin hier … aber es kommt mir irgendwie widerrechtlich vor … Ich dürfte eigentlich gar nicht hier sein! Daraufhin gehe ich zu einer ausgelassenen Gruppe auf dem Hof. Zu ihr gehören Jugendliche, aber auch Menschen in meinem Alter und ältere. Ich erzähle ihnen, dass ich keine Fahrkarte gekauft habe und deswegen wieder gehen müsse. Sie nicken und antworten mir, sie würden auf mich warten. Dann gehe ich den gleichen Weg zurück, steige den Hügel hinab, während hinter mir die Stadt zerfließt … Schließlich wache ich mit einem Lächeln auf. Den ganzen Tag lächle ich allen zu, jedem, den ich unterwegs treffe. Obwohl auch so etwas nicht passiert.«
    »Träumst du davon, eine solche Stadt zu finden?«, fragte Irina – nicht gleich, denn erst schien sie noch auf eine Fortsetzung zu warten.
    »Ich träume davon, immer für die Fahrt zu bezahlen«, antwortete Martin. Und fügte dann noch hinzu: »Natürlich nicht im wörtlichen Sinne.«
    »Das ist mir klar«, erwiderte Irina bloß. »Ich bin doch nicht dumm. Komm her, Martin.«
    Martin legte die Pfeife weg. Er erhob sich vom Stuhl und stieg in die Jeans. Dann zog er den Revolver aus dem Halfter.
    »Was ist?«, flüsterte Irina.
    Mit rätselhaftem Blick legte Martin den Lauf der Pistole an die Lippen, als bedeute er ihr ein »Pst!«. Er ging zur Tür und drückte leise die Klinke herunter, bevor er sie ruckartig aufriss.
    Im Gang war niemand, wovon Martin sich jedoch nicht in die Irre führen ließ. Er stürzte hinaus, ummittelbar darauf knallte die weit offen stehende Tür des Nebenzimmers zu. Als Martin danach wieder auftauchte, hielt er den Revolver auf einen schwächlichen und pickligen Jungen von fünfzehn oder sechzehn Jahren gerichtet. Irina hatte sich inzwischen Shorts angezogen und die Bluse zugeknöpft.
    »Fühl dich wie zuhause«, forderte Martin seinen Gefangenen fröhlich auf. »Mach’s dir bequem …«
    Ein ordentlicher Stoß half dem Jungen, die Strecke zum Stuhl zu überwinden. Mit dem Revolver fuchtelnd trat Martin an den Jungen heran, legte ihm schwer die Hand auf die Schulter und zwang ihn auf diese Weise, sich zu setzen.
    »War er allein?«, fragte Irina sachlich. »Du bist schon großartig. Ich habe nichts gehört.«
    »Es waren drei«, sagte Martin. »Sie haben die Tür geöffnet, sich überzeugt, dass niemand da war. Dann sind zwei nach unten gegangen, während unser Freund hier die Sachen durchwühlen sollte. Wie heißt du, Bürschchen?«
    Der Junge wimmerte, gab aber keine Antwort.
    »Weißt du, wie man auf Talisman Einbruchsdiebstahl bestraft, Irotschka?«, erkundigte sich Martin.
    »Gefängnisse gibt es hier nicht. Vermutlich jagt man die Täter vom Planeten.«
    »Schöne Bestrafung …«, seufzte Martin. »Gut, um ihn zu verprügeln, ist es jetzt ohnehin zu spät. Ihn umzubringen haben wir bislang noch keinen Grund. Wer hat dich geschickt?«
    »Ich bin den Gang entlanggegangen, da habe ich gesehen, dass die Tür offen stand und überall Sachen herumlagen. Ich bin reingegangen, um mich umzusehen. Vielleicht war ja was passiert und jemand brauchte Hilfe«, leierte der Junge den auswendig gelernten Text herunter.
    »Ach, was für ein Unschuldslamm!«, freute sich Martin. »Gut, hör auf, mich für dumm zu verkaufen. Ich will mit denen sprechen, die dich geschickt haben.«
    »Niemand hat mich geschickt«, beharrte der Junge auf seiner Version. Den ersten Schreck hatte er überwunden, mit jeder Sekunde zeigte er sich verschlagener. »Wenn Sie mich nicht gehen lassen, schreie ich! Und dann sage ich, dass Sie mich mit dem Revolver bedroht haben!«
    »Ich habe dich bedroht?«, brauste Martin auf. »Was fällt dir ein? Weißt du überhaupt, was das ist – eine Drohung?«
    Eine Ohrfeige, die sich gewaschen hatte, warf den Jungen vom Stuhl. Im nächsten Moment saß Martin, die Zähne bestialisch gebleckt, rittlings auf ihm. Der Lauf des Revolvers steckte dem Gefangenen im

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