Spektrum
die nicht für Außenstehende gedacht waren. Zum Beispiel nächtigten dort Eimer und Wischlappen, wobei der verdreckte Lappen sich inmitten der sauberen Gläser äußerst unappetitlich ausnahm.
Allerdings entdeckte er auch einen kleinen Knopf, der so angebracht war, dass der Barkeeper problemlos an ihn herankam. Nach kurzem Zögern drückte Martin ihn. Nichts rührte sich. Daraufhin nahm Martin eine angebrochene Flasche Kognak aus der Vitrine und schenkte sich selbst zwei Fingerbreit ein.
»Sie stehlen also doch …«, klang es finster von der Tür zu ihm hinüber.
Martin drehte sich um und kam sich vor, als sei er mindestens beim Griff in die Kirchenkasse erwischt worden. In der Tür stand der schlaftrunkene Besitzer des Krepierten Ponys, in Morgenmantel und mit einer pompösen Waffe in der Hand.
»Ich … das …«, setzte Martin an.
»Du wolltest Kognak«, soufflierte Juri.
»Nein, Kaffee … aber hier ist niemand …«
»Natürlich nicht, es ist fünf Uhr morgens …«, seufzte der Wirt. »Jetzt will ich allerdings auch einen Kaffee.«
Er lehnte die Waffe gegen den Tresen und machte sich kundig an der Kaffeemaschine zu schaffen. Da Martin vermutete, der Wirt würde nicht mehr auf ihn schießen, sondern – im Gegenteil – einen Kaffee mit ihm trinken, fasste er Mut.
»Ich hätte ihn bezahlt«, beteuerte er. »Am Morgen. Ganz bestimmt.«
Juri winkte nur ab. Während der röchelnde Apparat Kaffee in zwei Tassen ausspie, goss der Wirt sich selbst Kognak ein und schenkte Martin nach. »Schon morgens zu trinken ist nicht gut«, konstatierte er. »Allerdings kann man sich darüber streiten, ob es später Abend oder früher Morgen ist …«
Sie stießen an, und Martin begriff voller Freude, dass der Schenkenwirt, ungeachtet seiner phantastischen Geschichte, ein durchaus passabler, ja, sogar irgendwie angenehmer Mensch war.
»Sind die Herren Anführer schon gegangen?«, blaffte Juri.
»Die Goldgräber?«, fragte Martin. »Ja.«
»Warum hast du nicht gleich gesagt, dass du nach Allmacht suchst?«, wollte der Wirt wissen. »Nachdem du Irina einen Batzen Geld für die olle Batterie in die Hand gedrückt hast, habe ich gedacht, du seist einer von diesen Händlerheinis …«
»Du … Sie wissen, was das ist?«, wunderte sich Martin.
Juri nickte. »Batterien braucht man hier nicht«, erklärte er. »Wer würde auch schon zu den Dingern greifen, wenn der ganze Boden voller Strom ist und du nur ein Loch reinbohren musst?! Aber bei den Arankern habe ich mal welche gesehen.«
»Und Sie haben niemandem etwas davon gesagt?«
»Warum hätte ich einem netten Mädchen Scherereien bereiten sollen?«, staunte Juri. »Wenn sie einen dieser Händlertypen übers Ohr haut … der verdient sich an den Goldgräbern sowieso dumm und dämlich. Und sie braucht das Geld vielleicht für eine Operation ihrer alten Großmutter. Oder um an der Kunsthochschule zu studieren.«
Martin schoss der Gedanke durch den Kopf, ein solch klarer Blick auf das Leben sei nur außergewöhnlichen Menschen eigen, die in jedem Sträfling eine Mischung aus Robin Hood und Jean Valjean sehen.
»Sie sind ein guter Mensch«, meinte Martin ehrlich. »Nein, Irinka wollte mit dem falschen Schlüssel niemanden schröpfen. Sie wollte mit jemandem ins Gespräch kommen, der etwas wusste …«
»Diese Jugend, ach, diese Jugend …«, seufzte Juri und strich sich das dichte blonde Haar aus der Stirn. »Niemals wählt sie den einfachen Weg …« Traurig schaute er in den Spiegel überm Tresen und murmelte: »Warum habe ich die Aranker nicht gebeten, mich zwanzig Zentimeter größer zu machen? Dann würde ich dir das Mädchen ausspannen … entschuldige, aber ich würde sie dir mit Sicherheit ausspannen!«
»Ich würde sie aber nicht hergeben!«, meinte Martin kopfschüttelnd.
»Dann müssten wir uns duellieren«, erklärte Juri. »Auch wenn ich nicht schießen kann … Was ist? Seid ihr hinter das Geheimnis gekommen?«
Martin schüttelte den Kopf.
»Wir laufen auf Elektrizität, aber zu dem eigentlichen Geheimnis stößt niemand vor«, seufzte Juri. »Hat dir etwa irgendwer erzählt, jemand habe das Geheimnis gelüftet, sei allmächtig geworden und habe sich aufgemacht, große Taten zu vollbringen? Das Leben hält ja allerlei Überraschungen bereit, das streite ich gar nicht ab. Aber von denjenigen, die heute auf Talisman ihr Unwesen treiben, wird dir niemand helfen …«
Er hob sein Glas und trank den Kognak aus. »Wir sind verkalkt. Wir tragen
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