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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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anzündet«, empfahl einer der Alten mit schnarrender Stimme. »Dann fängst du ein Gespräch an … Schwatz einfach drauf los, Hauptsache, du kriegst den Rauch zu schnuppern … Unser Vorteil, dass Schließer geduldig sind und lange zuzuhören vermögen … Wenn sie dir dann noch ein Weinchen anbieten …«
    »Aber Tabak bieten sie dir niemals an«, meinte der andere Alte traurig.
    »Sie rauchen auch Marihuana«, bemerkte die jüngere der beiden Indianerinnen. Unverwandt sah sie Martin an.
    Doch der rührte sich nicht.
    Sie tranken noch zwei Gläschen à fünfzig Gramm. Danach ließ Martin seinen Becher lächelnd stehen. Niemand zwang ihn. Außerdem reichte es mittlerweile auch den Einheimischen. Die Kinder stoben auseinander, einige stürzten sich zum Planschen in die Kanäle, andere passten gewissenhaft auf die Kleineren auf. Bis auf Klim verstrickten sich die Erwachsenen in einem verworrenen Gespräch. Übereinander wussten sie seit Langem alles, jetzt interessierte sie nur ein einziger Zuhörer: Martin. Wie er erfuhr, hieß einer der Alten Louis, war Franzose, Physiker, der nach dem Tod seiner Frau nach Bibliothek gekommen war, um die Tage, die ihm noch blieben, ganz der Wissenschaft zu widmen. Bei dem zweiten Alten handelte es sich um einen Deutschen, einen Philologen, was auch für die beiden Indianerinnen zutraf. Die zwei waren übrigens Schwestern und in der Tat Klims Frauen. Nach einer Stunde vermeinte Martin, bereits mehrere Jahre auf Bibliothek verbracht zu haben. Die aufregendsten Geschichten – über nächtlichen Fischfang und verschütteten Selbstgebrannten, über einen Geddar, der bei einer Wette einen Obelisken mit seinem Schwert gespalten hatte, über einen Verrückten, den die Suche nach nicht existierenden »alten Technologien« nach Bibliothek verschlagen hatte – machten die Runde. Die Schwestern zettelten einen öden wissenschaftlichen Streit über ein Satzzeichen an, das signalisierte: Ich meine etwas ironisch, nimm meine Worte daher nicht allzu ernst.
    »Da kommen unsere Leute«, sagte Klim irgendwann.
    Martin erhob sich und spähte nach Norden.
    Tatsächlich, da kamen sie. Etwa hundert Menschen, Männer wie Frauen, Alte wie Junge. Es entbehrte nicht der Komik, diese Prozession zu beobachten, die sich gleich einer aufgelösten Kolonne über hundert Meter dahinzog. Ständig schoss ein Kopf aus der Menge heraus. Dann sprang gerade jemand über einen Kanal. Wie verrückte Tänzer wirkten diese Menschen, die vor dem Auftritt ihrer Gruppe noch einmal probten. Oder wie müde Hindernisläufer.
    »Wo ist denn unsere Irotschka?«, fragte Klim amüsierte, indem er sich neben Martin stellte. »Ah! Da ist sie ja. Gleich vorneweg. Allerdings trägt sie die Nase jetzt nicht mehr ganz so hoch.«
    Martin hatte Irina ebenfalls entdeckt und betrachtete die näher kommende Frau mit verständlicher Neugier. Irina war größer, als er sie sich nach den Fotos und Videoaufzeichnungen vorgestellt hatte. Die rotblonden Haare, die auf der Erde über die Schulter reichten, trug sie jetzt kurz geschnitten. Ihre Kleidung war einfach und praktisch: Turnschuhe, Shorts in Tarnfarbe und ein dunkelgraues T-Shirt. Dabei hatte sie so raffinierte Kleider getragen …
    Am meisten fesselte Martin jedoch Irinas Gesicht. O ja, sie hatte eine Niederlage einstecken müssen, das ließ sich auf den ersten Blick erkennen. Das bezeugten sowohl die fest zusammengepressten Lippen wie auch der allzu konzentrierte, die Tränen zurückdrängende Gesichtsausdruck. Auch die merkliche Distanz zwischen Irotschka und den Übrigen wiesen sie als gestürztes Idol aus.
    »Kalif für eine Stunde …«, bestätigte Klim Martins Gedanken. »Oder wie heißen die Frauen des Kalifen? Na, sagen wir der Einfachheit halber Prinzessin für eine Stunde …«
    »Hauptsache, sie ist keine Prinzessin auf der Erbse«, bemerkte Martin. »Man hat sie doch wohl nicht geschlagen?«
    »Wir mögen zwar ein wenig verwildert sein«, schnaubte Klim, »haben uns aber dennoch Überreste von Kultur bewahrt. Und Erbsen sind bei uns eine Köstlichkeit für Feiertage, insofern hat die Wendung ihren Sinn verloren.«
    Sobald die Menschen das Dorf erreicht hatten, verliefen sie sich. Einige verschwanden in Zelten, andere blieben in einigem Abstand stehen. Ein Dutzend Menschen näherte sich mit schuld-bewussten Gesichtern Klim. Getreue, die nach dem Verrat an ihrem Anführer kamen, ihre Sünde gutzumachen.
    Irina hielt ebenfalls schnurstracks auf den Direktor zu. Erst als sie ihn

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