Spektrum
Situation lag, als man es bei einer Siebzehnjährigen erwarten durfte. »Ich …«, setzte sie an.
In einem Kanal in der Nähe spritzte Wasser auf. Martin drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um zu sehen, wie ein Robbenartiger zur Hälfte daraus auftauchte. Das schwarze Fell glänzte feucht in der Sonne, das Tier holte mit einer seiner kräftigen Flossen aus – und schon pfiff etwas Kleines durch die Luft.
Ira Poluschkina zuckte zusammen, reckte sich auf, als habe sie einen elektrischen Schlag erhalten, und verstummte. Aus dem offenen Mund sickerte ein gleichmäßiger, dünner Strom dunklen Bluts. Genauso kerzengerade, ohne sich zu krümmen, fiel das Mädchen zu Boden. Bestürzt machte Martin den blutverschmierten, grauen Dorn aus, der sich ihr ungefähr auf Höhe des siebten Wirbels in den Hals gebohrt hatte.
Platschend tauchte der Robbenartige ins Wasser ab.
Schon im nächsten Moment brach Chaos aus. Die Erwachsenen schrien, die Kinder weinten, in Klims Hand erschien von Gott weiß woher eine Pistole. Sofort rannte er den Kanal entlang, dabei Kugel um Kugel ins Wasser feuernd. Eine der beiden Indianerinnen beugte sich über Ira. Die andere sprang mit einem soliden Küchenmesser in der Hand über den Kanal und stürzte offenbar auf einen Punkt zu, an dem der Robbenartige unweigerlich vorbeischwimmen musste. Martin setzte ihr nach – was sich als richtige Entscheidung herausstellte.
Der Robbenartige jagte mit der zielsicheren Grazie eines echten Wasserbewohners davon. Rauchgleich bildete sich hinter ihm dunkler Schaum, denn eine von Klims Kugeln hatte ihr Ziel gefunden. Martin wartete einen Moment, bis sich die Hände an das Gewicht der Remington gewöhnt hatte, dann eröffnete er das Feuer.
Mit dem dritten Schuss traf er endlich die Flosse, auf die er gezielt hatte. Der Robbenartige drehte sich um sich selbst und krümmte sich, als wolle er die verletzte Stelle belecken. Die Indianerin warf mit einer einzigen Bewegung ihr Gewand ab, ging für einen Sprung in die Hocke, packte das Messer fester und sah Martin fragend an.
Der schüttelte jedoch den Kopf. Er wartete, bis der Robbenartige versuchte weiterzuschwimmen, dann durchlöcherte er ihm die zweite Flosse.
Ein paar Minuten später, als der sein Blut verlierende Fremdling mit vereinten Kräften auf das Gestein der Insel gezogen war, schulterte Martin das Gewehr, zog einen Dolch aus einer am Unterschenkel befestigten Scheide und beugte sich über den Verwundeten.
»Das ist deine einzige Chance zu überleben«, brüllte er. »Erzähl mir alles, und zwar sofort!«
»Was soll das, Martin? Hast du den Verstand verloren?«, fragte Klim finster. Er hielt dem Robbenartigen die Pistole an den zitternden Kopf und drückte den Abzug.
Martin wich zurück und wischte sich die Blutspritzer vom Gesicht. Plötzlich fielen ihm Irinas Worte wieder ein: »Sie haben mich vernichtet.«
»Er war der einzige Zeuge!«, schrie er, während er nach seinem Karabiner langte. »Du wolltest wohl nicht, dass er redet?«
Klim seufzte, hielt den Pistolenlauf ins Wasser und bewegte ihn hin und her, um das Blut abzuwaschen. Der Robbenartige mit dem verdrehten Kopf zitterte schwach am Ufer. Es roch nach Blut und Schießpulver.
»Er kann nicht sprechen. Er war ein Hund, Martin.«
»Was?«
»Weißt du nicht, was das für einer ist? Er ist ein Tier, ein Kchannan! Die Geddarn halten sie wie Hunde. Da sie jedoch etwas klüger als diese sind, können sie mit bestimmten Dingen umgehen. Die Schließer erlauben es, zahme Tiere zu halten, deshalb haben die Geddarn sie mit nach Bibliothek gebracht. Auf trockenen Welten können sie nicht überleben, aber hier geht es ihnen prächtig … Sie helfen beim Fischfang, spielen mit den Kindern.«
Kaum hatte Martin die Gewalt über sich zurückerlangt, ließ er die Waffe sinken. »Entschuldige …«, murmelte er. »Ich …«
»Du hast geglaubt, dieser miese Dorfdirektor Klim habe das Mädchen durch fremde Hände … Pfoten umbringen lassen.« Klim spuckte ins Wasser. »Gut, vergessen wir das. Wir hätten ihn nicht verhören können, Martin.«
Martin sah zu der kleinen Insel hinüber, auf der sich um die reglose Irotschka herum die Bewohner drängten. Schließlich lief er zu ihnen, ohne selbst zu wissen, warum.
Der Kreis öffnete sich vor ihm. Die junge Frau lebte noch, lag jedoch im Sterben. Die Steine unter ihr schwammen in Blut, die Augen blickten müde und leer drein. Sie atmete durch den Mund, aus dem nach wie vor Blut strömte. In ihrem
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