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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Wissenschaftlers, der eine starke Konkurrentin witterte. Aber Bibliothek war in der Tat kein Ort für eine überreizte Siebzehnjährige. In fünf Jahren, daran bestand für Martin kein Zweifel, würde sie als halbnackte schwangere Frau über die steinernen Inseln ziehen, an der Hand ein kleines Rudel Kinder. Geheimnisse alter Sprachen würden sie nicht mehr interessieren. Alles hatte seine Zeit. In der Jugend muss man lernen und sich austoben, gegen Ungerechtigkeit kämpfen und die Welt aus den Angeln heben … Aber bei der Suche nach einem edlen Körnchen Wissen Berge tauben Gesteins durchzusieben – das ist ein Privileg des reifen Alters.
    »Was ist? Wollen wir zu Mittag essen?«, fragte Klim. »Haben Sie schon die hiesige Fischsuppe probiert?«
     
    Zum Essen versammelten sich alle Dorfbewohner, die sich nicht zusammen mit Irina aufgemacht hatten, die Geheimnisse des Universums zu ergründen. Klim und die beiden indianischen Köchinnen – Martin konnte sich des sicheren Gefühls nicht erwehren, sie seien beide die Frauen des Direktors –, ein Dutzend kleiner Kinder und zwei Alte, die offensichtlich in Abwesenheit der Eltern auf die Kleinen aufpassten.
    »So leben wir«, meinte Klim munter. »Eine Art Kommune. Was bliebe uns auch sonst übrig? Der Mangel an Ressourcen führt immer zu primitiven Formen gesellschaftlicher Strukturen.«
    An die Kinder verteilte Martin je ein Stück Schokolade, wobei die älteren unter ihnen sich unverzüglich über die Köstlichkeit hermachten, während die jüngeren die Nascherei zunächst ängstlich kosteten. Ein kleiner Junge fing sogar zu weinen an und spuckte bräunlichen Speichel aus.
    »Es fehlt an Süßigkeiten«, gestand Klim seufzend, der als Erster den Löffel zum Mund führte. »Wir haben versucht, aus Seerosen Melasse zu kochen … Doch ich würde mich schämen, Ihnen eine Kostprobe anzubieten. Süßigkeiten und Brot, das sind die Probleme, die uns beschäftigen …«
    Den Erwachsenen bot Martin Hartkeks an, von dem er nach kurzem Zögern auch jedem Kind einen halben gab. Die nächste Zeit nagten alle schweigend an der seltenen Delikatesse. Die Alten saugten konzentriert an dem Dauerbrot, das sie immer wieder behutsam in die Fischsuppe tunkten.
    Die Suppe stellte sich in der Tat als köstlich heraus! Dickflüssig, mit Fettaugen, Fischstücken, Weichtieren und Algenstreifen, knackig wie Kohl. Martin aß zwei Schüsseln, dankte den Frauen und schenkte ihnen je ein Paket schwarzen und roten Pfeffers.
    Klim konnte nur den Kopf schütteln. »Sagen Sie, Martin, wie oft pendeln Sie zwischen den Welten? Sie sind der dritte Mensch, an den ich mich erinnern kann, der auf die Idee kommt, uns Gewürze mitzubringen.«
    »Sehr oft«, gab Martin zu. »Wenn mich jemand zur Station begleitet, überlasse ich Ihnen meine übrigen Vorräte. Natürlich erst, nachdem die Schließer meine Geschichte akzeptiert haben.«
    »Wir begleiten Sie bestimmt«, versprach Klim lächelnd. »Würden Sie auch Briefe mitnehmen?«
    »Gewiss«, meinte Martin nickend.
    Die mit Spezereien beglückten Indianerinnen brachten eine Plastikflasche, die drei Liter fasste. Sie schenkten ein wenig, fünfzig Gramm nur, von einer milchigen, opaleszierenden Flüssigkeit in Becher. Aufmerksam beobachtete Martin, wie Klim trank: auf ex, krächzend und ein Stück Fisch nachessend. Er schnupperte an dem Getränk, das nach Fisch und Alkohol, jedoch keineswegs fuselig roch. Als er einen Schluck nahm, verbrannte ihm der Algenschnaps den Gaumen, rumpelte ihm als kratziger heißer Klumpen die Speiseröhre hinunter, hinterließ indes einen überraschend angenehmen, frischen Nachgeschmack.
    »Deutliche Nuancen von Minze und Anis«, stellte Martin erstaunt fest.
    Klim lächelte stolz. »Das ist kein Kognak, aber man kann es trinken. Für Tabak haben wir leider noch keinen Ersatz gefunden …«
    Pflichtschuldig holte Martin ein Päckchen starker französischer Zigaretten aus der Tasche. Die erwachsenen Bürger auf Bibliothek machten sich unverzüglich über die Gitanes her. Mancher klaubte sich eine Zigarette heraus, mancher, entschuldigend lächelnd, zwei oder drei. Ein älteres Kind, das nach dem Päckchen langte, bekam eins auf die Finger.
    Um der Höflichkeit willen rauchte Martin mit. Er hätte der Zigarre den Vorzug gegeben, die in seinem Rucksack für besondere Gelegenheiten ruhte, wollte die Menschen jedoch nicht verprellen.
    »Wenn du das nächste Mal zur Station kommst, dann warte, bis der Schließer sich seine Pfeife

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