Spekulation in Bonn
erdrosselt worden ist. Dabei werden zwar die Halsvenen und die Halsschlagadern abgeklemmt, die Wirbelsäulenarterie aber nur unvollständig. Es fließt also noch Blut in den Kopf hinein, aber es erfolgt kein Abfluß durch die Venen, und das verursacht Stauungen.«
»Ist das für unseren Fall gesicherte Erkenntnis?«
Lupus schnaufte kurz: »Ja, wie schon gesagt, mit gewissen Vorbehalten – aber das kennen wir doch.«
»Todeszeit?«
»Eine Stunde vor bis zwei Stunden nach Mitternacht.«
Freiberg nickte zufrieden. »Doktor Lupus, die Mordkommission dankt für Ihren brillanten Vortrag.«
Er sah seine Mitarbeiter der Reihe nach an: »Ja, Freunde, um mit den Worten unseres famosen ›Leitenden‹ zu sprechen:
Dann wissen wir Pastorenkinder ja wieder einmal, wo’s langgeht.«
Freiberg hatte seinen Leuten nahegelegt, vor allem der Frage nachzugehen, woher das Abschleppseil aus Hanf stammen könne. Außerdem sollten sie bei den Nachbarn Korbels Erkundigungen einziehen, ob jemand in der Nacht den Mercedes gesehen hatte.
Er selbst wollte den Gruppenleiter und den Kripochef Dr. Wenders informieren. Bei diesem Fall konnten Fragen ins Spiel kommen, für deren Klärung das 1. K. Rückendeckung brauchte. Doch erst wollte Freiberg mit Sörensen vom 19. K. sprechen. Dieses Kommissariat für die »Aufklärung und Verhütung von Staatsschutzdelikten« war dem Polizeipräsidenten direkt unterstellt; doch Freiberg wählte lieber den »kleinen Dienstweg«.
»Ich bin im 19.«, meldete er sich bei Fräulein Kuhnert ab.
Kriminalrat Sörensen saß eine Etage höher. Er diktierte seiner Sekretärin direkt in die Maschine und hatte das Klopfen an der Tür überhört. Als sein Besucher eintrat, hob er den Kopf: »Nanu, das 1. K. persönlich? Du kommst doch bestimmt nicht, um dich nach meinem Befinden zu erkundigen. – Was kann ich für dich tun?«
Freibergs Blick fiel auf eine dicke Akte mit rotem Diagonalbalken und der Aufschrift: »VS – Geheim«, die auf dem Schreibtisch lag. »Entschuldigung, ich wollte nicht stören – soll ich später wiederkommen?«
»Halt, hiergeblieben! Papier ist geduldig – ab damit in den Panzerschrank. Ich diktiere später weiter.«
Er bat Freiberg in sein Arbeitszimmer und zog die Tür hinter sich zu. Sörensen war der immer korrekt gekleidete Herr im grauen Flanell oder feinsten Kammgarn, stets mit weißem Hemd und farblich abgestimmter Krawatte. Er ähnelte Jean Gabin, dem brillanten Darsteller eines großen Kollegen, und ließ es sich gern gefallen, mit »Monsieur Maigret« angeredet zu werden. Als Chef des 19. K. brauchte er nicht mehr in den Niederungen des kriminalpolizeilichen Alltags, im Sumpf von Mord, Totschlag, Erpressung, Raub und Korruption herumzuwaten. Er hatte es mit den Schlips-und-Kragen-Verbrechern zu tun.
»Nun, Freiberg, womit kann ich dienen?«
Freiberg hatte sich immer noch nicht dazu durchringen können, den väterlichen Kollegen zu duzen, wie es bei der Kripo allgemein üblich war. So ließen Sörensens »Du« und sein »Sie« die Unterhaltung etwas eigenartig erscheinen.
»Das ist eine längere Geschichte.«
»Ich höre.«
Freiberg legte den Stand der Ermittlungen dar, ohne seine Schlußfolgerung vorzutragen.
»Ihr geht also von Mord aus?« fragte Sörensen.
»Ja, müssen wir wohl – alles andere gibt keinen Sinn. Fehlen nur noch Motiv und Täter. Das Motiv liegt entweder im persönlichen Bereich, von dem wir bisher null Ahnung haben, oder in der dienstlich-fachlichen Vergangenheit des Toten. Nur stehen wir da vor einer Wand. Elektronik-Abwehr-Spezialist, Datenschützer bei der Bundeswehr – das schmeckt mir gar nicht.«
Sörensen holte ein dünn gewickeltes Zigarillo aus dem Kistchen auf seinem Schreibtisch. »Ach so, du rauchst ja nicht, stört’s?«
»Nein, wenn es dazu beiträgt, in unserem Fall weiterzukommen, bestimmt nicht.«
»Ich muß mal über meinen Zerhacker versuchen, ob ich Oberst Martes vom MAD erwische.« Sörensen griff zum zweiten Telefon, mit dem er über geschützte Sonderleitungen und über die elektronische Zerhackeranlage mit den Diensten sprechen konnte. Ein Abhören war nicht möglich.
Der Oberst schien, nach dem lebhaften Wortwechsel zu urteilen, über den Anruf erfreut zu sein. Sörensen gab seine Informationen weiter. »So sieht es also aus. Mein Kollege Freiberg, der hier neben mir sitzt, geht von Mord aus. Ich werde für ihn, der Einfachheit halber, Ihre Mitteilungen wiederholen:…also, der MAD weiß auch nicht, was
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