Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013
Fürsprecherin zu Haftzeiten sie war. 27 Jahre lang hat er ihr trotz anhaltender Gerüchte über Untreue und Machtmißbrauch hinreißende Briefe geschrieben. Jetzt nennt er die „Genossin“ wieder beim Mädchennamen - „comrade Nomzamo“.
Gemeinsam ist den Graswurzlern die Auflehnung gegen das Unvermeidliche, gegen die Tatsache, daß die neue, schwarze Elite in Nischen einzieht, die von der weißen geräumt werden. Daß sie hinter Mauern in weißen Villen mit Alarmanlagen sitzen wie Nelson Mandela, emsig um die Welt fliegen wie Thabo Mbeki oder mit weißen Ministern angeln gehen wie Cyril Ramaphosa, der Kronprinz des ANC.
Die Advokaten der einfachen Leute vergessen, daß es praktischer ist, vorhandene Nischen zu besetzen, als neue zu schaffen. Unterdrückte haben andere Sorgen, als Gegenentwürfe zur Ästhetik der herrschenden Klasse zu schaffen.
Nelson Mandela plant nicht, den ANC-Vorsitz niederzulegen, sobald er Präsident ist. Obwohl er damit gut beraten wäre: Er käme dann als Staatschef nicht noch einmal in Verlegenheit wie nach den tödlichen Schüssen auf Zulus vor dem ANC-Hauptquartier Ende März. Nur mit seinem makellosen Ruf konnte Mandela damals eine Hausdurchsuchung verhindern.
Fast scheint es, als habe sich die Friedensvision beim Langzeitgefangenen derart verfestigt, daß er das Ausmaß der Gewalt im Land nicht mehr wahrnimmt. Mögen militante Zulus Bürgerkrieg proben und sich in bizarrer Allianz mit radikalen Weißen verbrüdern; mögen ANC- und Inkatha-Cousins gleicher Religion wie Gesinnung sich im Straßenkrieg schlachten - Mandela hält nichts auf. Er marschiert furchtlos wie der Missionar im Dschungel.
An einem heißen Sonntag im April taucht er wieder auf, zielsicher seine Bühne wählend. In der alttestamentarischen Hügellandschaft rund um die „Zion City“ Moria am Nordrand Transvaals herrscht konfessionsgebundenes Lagerleben. Bis zum Horizont stehen die Betenden in Uniform.
Drei Millionen Teilnehmer, sagen die Veranstalter. Kein Alkohol, keine Zigaretten. Zweibeinige Feuermelder enttarnen sekundenschnell etwaige Raucher im Gottesstaat. In schickes Tannengrün gekleidet, wachen Männer mit Schirmmützen an den Wegen. Tannengrün tragen in Moria die Priester.
In der Kirche, im Restaurant, in Läden, Polizeistationen und Häusern - Uniformen. Die Zion Christian Church ist ein Staat mit hundertprozentiger Wehrpflicht. Gut sechs Millionen Soldaten Gottes bekennen sich zu Südafrikas mächtigster Kirche.
Subalterne in Khaki traben vorbei. Sie müssen Spalier bilden, vorne am Eingang. Die Ehrengäste sind unterwegs.
Aufrecht im offenen Lieferwagen fährt Nelson Mandela ein, die Faust stramm im Wind. Die Sektenbrüder, die wählen dürfen, aber nicht zu deutlich jubeln sollen, winken verstohlen. Es folgt in verdunkelter Limousine der amtierende Präsident F. W. de Klerk samt Außenminister Pik Botha - mäßiger Beifall. Zulu-Führer Mangosuthu Buthelezi passiert beinahe unbemerkt.
Drei Millionen von über 20 Millionen Wahlberechtigten auf einem Fleck. Ein fabelhaftes Forum. Unter traurigen Märschen ziehen die Kandidaten durchs Mittelschiff in die Kirche. Mandela wird im Zentrum plaziert. Die Regierenden schenken ihm freundliche Worte.
„Diese Männer“, sagt der Oberhirte Barnabas Lekganyane, und sein Hirtenwort hallt wider in Millionen Zionskinder-Ohren, „sind Friedensfreunde. Sie lieben sich.“
Mandela, erste Reihe, Stuhl fünf, zuckt nicht. Der Bure de Klerk, Stuhl sieben, auch nicht. Der Zulu Buthelezi, Stuhl neun, verbirgt sein Gesicht. Schnell fällt ein schunkelnder Gospeltrupp ein: „We are marching up to Zion, the beautiful city of God.“
Eine Stunde lang werden die Kandidaten vom Bischof gesalbt, dann rüsten sie, umspielt von aggressiver Blasmusik, zum Auszug. Wie selbstverständlich strebt Mandela zur Mitte. Daneben sucht sein Nobelpreis-Bruder de Klerk im Gesichtsfeld der Fotografen zu bleiben. Weit hinten läuft, um einen Rest von Grandezza ringend, Zulu-Führer Buthelezi.
Sie verlassen die Kirche. Im grellen Sonnenlicht warten schweigend Millionen Gottessoldaten, die draußen bleiben mußten. Instinktiv heben alle Kandidaten den Arm.
Beschwörend schwenkt Buthelezi den Zauberstab der Zulus und fordert den Lohn, der dem Magier gebührt. Vor ihm grüßt staatsmännisch mit offener Handfläche der letzte Bure, Frederik Willem de Klerk.
Ganz vorne steht Nelson Mandela, den Arm abgewinkelt, die Finger der rechten Hand zur Faust geballt. „Amandla
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