Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013
mehrheitlich weißen Lager des Feinds zugeschlagen werden - der südafrikanischen Armee.
Langsam schreitet der künftige Präsident, 1961 selbst erster Oberbefehlshaber des „Speers“, die Reihen ab. Er zeigt eifrig Faust und Zähne, doch es fruchtet wenig. Die zornigen Kämpfer im Camouflage-Zeug mustern den freundlichen Mann im grünen Freizeithemd wie einen Märchenonkel, der sich ins Minenfeld verirrt hat.
Sekundenlang stehen sich zwei Generationen ANC gegenüber, die außer der Hautfarbe wenig verbindet. Mandela war ein überzeugter Demokrat, prächtiger Redner und lausiger Schütze, ehe er sich mit 43 zum bewaffneten Kampf entschloß. Bei den jungen „Speer“-Spitzen ist es umgekehrt. Sie sind Kinder des Kriegs in den Townships.
Nur solange der Führer die Faust noch hebt zum Zeichen der Opposition, werden sich alle hinter ihm sammeln, werden brüchige und unheilige Allianzen im Widerstandsbündnis bestehen bleiben. Denn der vom Volk messianisch Verehrte verheißt den Zugang zu den Fleischtöpfen.
Die schweren Zeiten für Mandela beginnen, wenn die Entrechteten erst einmal selbst im Parlament sitzen und er den Westflügel des Präsidentenpalasts von Pretoria bezogen hat - mit Blick auf den Wallfahrtsort der alten Elite, das Voortrekker-Denkmal der Buren.
Dann werden unter einem Dach Gewerkschafter gegen Jungunternehmer stehen, Patrioten gegen moskaugeschulte Internationalisten und die Fürsprecher der Obdachlosen gegen die der weißen Wirtschaftsmultis, ohne deren Geld dem Land der Absturz droht. In Kabinett und Haushaltsausschuß verharren dazu die Peiniger von einst, respektive ihre Söhne, auf die Wahrung des weißen Besitzstands bedacht.
Über allen soll als Schiedsrichter Nelson Mandela thronen, biographisch unanfechtbar, als moralische Instanz unverzichtbar. Von ihm wird erwartet, daß er die Wunden eines Landes schließt, das keinen Konsens kennt; daß er die durch Stammesgeschichte, Hautfarbe, Religion oder sozialen Rang entzweiten Lager versöhnt; und schließlich Erste und Dritte Welt, oft nur wenige Meter voneinander getrennt, zu einem Ganzen fügt.
Daß Nelson Mandela als erste und einzige Wahl gehandelt wird, besagt nichts über seine Erfolgsaussichten. Nur unter massiver Ausbeutung des eigenen Mythos wird der Mann, der die eiserne Klammer der Apartheid gesprengt hat, das Jahrhundertwerk auf einen soliden Sockel stellen können. Fünf Jahre seines Lebens, so sagt er, will er der Aufgabe widmen.
Sollte er das geplante Ende seiner Legislatur 1999 gesund und ohne Putsch erleben, was ihm nicht nur die Mehrheit der Südafrikaner wünscht - es wäre die Krönung einer Karriere, über deren Ertrag für Afrika die Geschichtsbücher des nächsten Jahrhunderts befinden werden.
„Entweder er ist ein Heiliger, oder er verdient den Oscar als bester Darsteller“, schreibt mit halbgarem Spott die weiße Presse am Kap. „Für seine Zeit und seinen Kontinent spielt er eine Rolle wie Gandhi“, sagt der alte Weggefährte Walter Sisulu.
Das wird den am königlichen Kral der Tembu groß gewordenen Häuptlingssohn Nelson Rolihlahla (der „Unruhestifter“) Mandela nicht von der Pflicht befreien, in unmittelbarer Zukunft auch die Interessen südafrikanischer Gold- und Diamantenbarone mitzuvertreten. Er wird, während er zu Hause am Sozialstaat bastelt, im Ausland zum Standort Kap raten müssen, wo unverändert billige Arbeitskraft lockt. Das bizarre Schlußkapitel eines schwarzafrikanischen Märchens steht bevor.
Als der junge Mandela, designierter Stammesführer in der Transkei, noch Prinzenschmuck auf nacktem Oberkörper trug, hat ihm sein Lehrmeister, der weise TatuJoyi, erstmals von den Weißen erzählt.
Sie wollten unser Land, so sprach der Alte, und haben deshalb Unfrieden und Habgier gestiftet zwischen den Stämmen, in denen damals noch alles allen gehörte. Sie köderten die wankelmütigeren Führer der Tembu mit zwielichtigen Verträgen.
„Papier“, sprach TatuJoyi zum jungen Nelson, „ist das Hexenmittel des weißen Mannes. Die Tembu hätten gewonnen, wären sie eins geblieben.“
Keiner im Klan konnte ahnen, daß Nelson nach Johannesburg fliehen, als Rechtsanwalt sich die Hexenmittel des weißen Mannes nutzbar machen und ein halbes Jahrhundert später als Präsident Südafrikas die Herrschaft der Kolonisten brechen würde. Doch Mandela, der gewissenhafte Zuhörer, hat das Vermächtnis von TatuJoyi nie vergessen.
Sein Führungsstil ist autoritär und effizient. Die dezentralen
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