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Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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und jemand flüstern. Ich war sicher, dass solche Dinge sich nur bei mir zu Hause abspielten. Mittlerweile war ich allerdings auch sicher, dass sie alle irgendetwas mit meiner Mutter zu tun hatten. »Sie ist gemalt!«
    »Oh, tatsächlich?« Ksü grinste. »Das ist eben Pheenkunst. Okay, wenn du eine solche Expertin bist, gebe ich zu: Es ist illegale Ware. Wir werden doch keinen Schund in unsere Küche hängen. Pheen sind die Einzigen, die richtige Kunst hinkriegen.«
    »Pheenkunst …« Ich setzte mich auf den Boden, einfach so, auf die warmen Dielen.
    »Wir haben auch Stühle«, sagte Ksü hilfsbereit.
    »Ksü, ich muss dir was erzählen.« Ich kaute auf meiner Unterlippe herum. Aber im Grunde genommen gab es nichts zu überlegen. Ich würde Ksü hier und jetzt einweihen. Die Notwendigkeit, über die Ereignisse der letzten Zeit schweigen zu müssen, hatte mich schon beinah explodieren lassen. Jetzt konnte ich nicht mehr. Ich musste einfach mit jemanden darüber sprechen. »Das Quadrum da ist von meiner Mutter.«
    »Ach nee?« Ksü sah auf mich, nicht erstaunt, eher so, als hätte sie es schon vorher gewusst. Dann schaute sie wieder auf das Quadrum, als wollte sie eine Ähnlichkeit zwischen mir und ihm feststellen. »Also, das wäre schon ein bisschen verrückt«, sagte sie dann doch.
    »Ich kenne die Quadren meiner Mutter. Na ja, nicht alle, aber ich weiß, wie sie malt. Ich irre mich ganz bestimmt nicht. Das hier ist von ihr.«
    »Wow!«, sagte Ksü. »Dann bist du Tochter einer berühmten Malerin. Was für Freunde ich habe.« Und sie klopfte sich mit der linken Hand auf die rechte Schulter, was ziemlich komisch aussah.
    Ich stutzte, erstens weil sie mich als Freundin bezeichnet hatte, zweitens wegen dem, was sie gerade über Mama gesagt hatte.
    »Ksü, meine Mutter ist keine berühmte Malerin.« Ich seufzte. »Sie hat keine Lizenz. Sie malt viel, aber alles ist auf dem Dachboden. Wir haben Quadren in unseren Zimmern, für den Privatgebrauch ist das ja nicht strafbar. Angehörigen ersten Grades darf man die Quadren zeigen und schenken. Aber sonst hat niemand die Quadren gesehen. Das wäre ja auch gar nicht gegangen, sonst hätte meine Mutter enorme Probleme gekriegt.«
    Ich hatte einen Kloß im Hals.
    »Sie hat Probleme gekriegt.«

Die Normalen und die Freaks
    Und dann setzte ich mich an den großen schweren Holztisch, auf den Ksü ein Blech mit Blaubeerkuchen gestellt hatte, stützte meine Stirn auf die Hände und erzählte Ksü alles. Alles, was ich wusste. Vom Verschwinden meiner Mutter. Davon, dass die Polizei sie nicht suchen wollte, obwohl ich ahnte, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Wie mein Vater reagiert hatte. Wie ich das erste Mal bewusst das Wort Phee im Zusammenhang mit ihr gehört hatte. Und im Zusammenhang mit mir. Wie ich feststellen musste, dass jeder es als Schimpfwort benutzte außer …
    »Außer dir«, sagte ich. »Du bist die Einzige, die darüber spricht, als wäre nichts dabei. Pheendorf, Pheenkunst. Als wäre es völlig normal.«
    Ksü hörte mir schweigend zu.
    »Ich bin also Tochter einer Phee«, fuhr ich fort. »Und keiner sagt mir, was mit meiner Mutter passiert ist. Ich habe noch nie im Leben solche Angst gehabt, Ksü. Und irgendwie bin ich auch total wütend auf sie, weil sie mir nie gesagt hat, wer sie wirklich ist und was es für uns alle bedeutet.«
    »Iss ein Stück Kuchen«, sagte Ksü, schnitt ein riesiges Rechteck heraus und stellte einen geblümten Teller vor mich. »Ist gut für die Nerven.«
    Ich biss ab und verschluckte mich sofort.
    »Da!« Ich hustete, schüttelte den Kopf und deutete mit der Kuchengabel in die Ecke.
    Dort saß eine fette Ratte, die, so oft ich auch blinzelte, einfach nicht verschwinden wollte. Sie war braun, die schwarzen Knopfaugen waren auf mich gerichtet. Ksü achtete nicht auf sie, sondern klopfte mir auf den Rücken. Ich hörte sofort auf zu husten. Ich hasste es, wenn jemand meinen Rücken berührte.
    »Sieh doch mal! Eine Ratte!«, stöhnte ich.
    Sie schaute hin. »Da bist du ja!«, sagte sie erfreut, hörte endlich auf, auf die empfindliche Stelle zwischen meinen Schulterblättern einzuhämmern, griff einen angetrockneten Käsewürfel von einem Holzbrett neben der Spüle und hielt ihn der Ratte hin. Die Ratte hörte auf, mich anzuglotzen, und lief auf Ksüs ausgestreckten Arm zu. Sie nahm den Käsewürfel aus Ksüs Fingern, kletterte flink ihren Ärmel hoch und machte es sich auf Ksüs Schulter bequem. Dort begann sie, den Käse zu

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