Spiegelkind (German Edition)
gesehen.«
»Außer im Spiegel.« Ksü kicherte wieder.
»Jetzt hör endlich auf, mir das unter die Nase zu reiben! Ich bin vielleicht Pheentochter, aber ich bin auch normal. Ich habe eine Nummer. Haben Pheen Nummern?«
»Das glaube ich kaum«, sagte Ksü. Sie rieb sich nachdenklich die Nase. »Dein Vater muss ziemlich einflussreich sein, wenn er es geschafft hat, dir eine Nummer zu verschaffen. Nach allem, was du erzählst, steht in deiner Akte wahrscheinlich nicht mal dabei, dass man besonders auf dich achten soll. Aber hat sich deine Mutter wegen der Kinder eigentlich auch als Normale ausgegeben? So etwas kostet ein Schweinegeld.«
»Keine Ahnung«, sagte ich ratlos. Immer, wenn ich überzeugt davon war, einigermaßen im Bilde zu sein, kamen neue Aspekte ins Spiel, auf die ich nicht vorbereitet war. Ich dachte an meine Mutter. »Sie war einfach sie selbst. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht. Sie hat ihre Quadren gemalt und sich um uns gekümmert. Sie ging auch selten aus, außer zum Einkaufen.«
»Und wie hat sie bezahlt? Mit ihrem Armband?« Ksü sah mich gespannt an.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, mit Karte.«
»Siehst du!«
Warum war mir das nie aufgefallen? Meine Großmutter, mein Vater, ich selbst – wir alle bezahlten, indem unsere Nummer gescannt wurde. Das Geld wurde direkt von unserem Familienkonto abgebucht. Dass meine Mutter eine altertümliche Karte gehabt hatte, war merkwürdig gewesen, aber auch selbstverständlich. Ich hatte immer gedacht, es gehöre eben zu ihrem extravaganten Wesen, dass sie ihr Armband nicht tragen wollte.
In Wirklichkeit hatte sie einfach keins.
»Wie war denn eigentlich ihre Ehe so?«, fragte Ksü plötzlich.
Ich wunderte mich kurz über diese indiskrete Frage, runzelte dann nachdenklich die Stirn. »Ich glaube, sie war mit meinem Vater schon ziemlich lange unglücklich. Sie haben sich ständig gestritten. Meine Mutter kann ziemlich wütend werden, musst du wissen.« Ich wollte allerdings nicht erzählen, dass sie manchmal so wütend werden konnte, dass sogar ich Angst bekam. Schreie, zerbrochenes Geschirr, wildes Schimpfen – ich wollte meine Mutter nicht vor Ksü bloßstellen, es war schon schlimm genug, dass die Nachbarn es mitbekommen hatten.
»Ich glaube, irgendwann hielt meine Mutter es nicht mehr aus«, sagte ich. »Sie wollte nicht mehr mit meinem Vater zusammenleben. Mein Vater war total gegen die Scheidung, obwohl es auch für ihn die Hölle war, weil sie so unterschiedlich waren. Aber irgendwann haben sie sich endlich getrennt und sich darauf geeinigt, uns abwechselnd zu betreuen.«
»Aha!«, sagte Ksü, als wäre jetzt alles absolut klar. »Und das läuft bestimmt noch nicht lange so?«
»Zweieinhalb Monate«, sagte ich. Ich war selber erstaunt über die Kürze der Zeitspanne. Es fühlte sich an wie zweieinhalb Jahre, mindestens.
»Aha!«, sagte Ksü wieder. »Und dann ist sie verschwunden und die Polizei tut nichts und du hast das Gefühl, deinem Vater ist es mehr als recht, weil er euch jetzt für sich allein hat?«
»Genau.« Ich fand es grauenhaft, dass sie es so knallhart formulierte und ich ihr auch noch zustimmen musste. »Und es ist unglaublich, dass seine Familie sich so darüber freut. Sie sagen es natürlich nicht direkt, aber die Mutter meines Vaters ist einfach bei uns eingezogen und hat endlich mal richtig aufgeräumt und tut so, als wäre Mama nie da gewesen.«
Die Mutter meines Vaters, so hatte ich Ingrid noch nie genannt.
»Das wundert mich gar nicht«, sagte Ksü. »Ist doch klar, dass er froh ist über ihr Verschwinden und deine Großmutter auch. Die Normalen hassen die Pheen, das war noch nie anders. Nichts ist so mächtig wie alte Vorurteile.«
»Aber das kann nicht sein«, sagte ich. »Mein Vater muss meine Mutter einmal geliebt haben. Sonst hätte er sie nicht geheiratet, oder?«
»Oder«, sagte Ksü. »Die Frage ist doch eher, wieso haben deine Eltern überhaupt so lange zusammengelebt und wie ist es deiner Mutter gelungen, das Sorgerecht für euch zu teilen? Normalerweise kann eine Phee so etwas vergessen.«
»Ja, das haben wir ja gerade gelesen.« Ich erinnerte mich an die Warnungen aus dem Netz, die mit dem Wort GEFAHR begannen.
»Eine Phee hat die Wahl: entweder an der Seite des Normalen zu verkümmern oder ganz auf ihre Kinder zu verzichten. Viele Pheen bringen sich angeblich aus Verzweiflung um«, sagte Ksü.
So ähnlich hatte ich es in dem allerersten Eintrag gelesen. Offenbar wusste Ksü wirklich
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