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Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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hinter sich hatte.
    »Wehgetan?«, fragte Ksü besorgt und half mir auf. Ich schüttelte den Kopf. Der Helm hatte den Sturz abgefangen, jetzt befreite ich mich davon und strich mir die Haare glatt.
    »Uff«, sagte ich und sah mich um. »Was ist denn hier passiert?«
    »Jetzt komm endlich«, sagte Ksü.
    Sie ging voran. Ich folgte ihr über die Holzstufen ins Haus. Sie knarzten unter meinen Füßen. Ein Haus, das Geräusche machte, als wäre es wirklich lebendig. Jedenfalls der Teil davon, der noch stand.
    Ich hatte erwartet, dass Ksüs Mutter uns empfangen würde. Aber drinnen war es stockdunkel. Ich vermisste unsere hellen, lichtdurchfluteten Räume, die ein Gefühl der Weite vermittelten. Offenbar war niemand zu Hause, was mir seltsam vorkam. Ich wusste, dass früher viele Frauen arbeiten gegangen waren, aber heutzutage war das glücklicherweise nicht mehr nötig, gerade in einer Familie, die es sich leisten konnte, sein Kind aufs Lyzeum zu schicken.
    Vielleicht war Ksüs Mutter ja einkaufen oder beim Sport oder traf sich mit ihren Nachbarinnen im Café, dachte ich.
    Irgendwo weiter hinten schaltete Ksü gerade Licht an und riss Fensterläden auf. Ich hatte Fensterläden bis jetzt nur in sehr, sehr alten Kinderbüchern gesehen.
    Ich stand mit Ksü in der Küche. Und diese Küche war riesig. Holzschränke bis zur hohen Decke, in fröhlichem Gelb angemalte Wände, ein riesiger Tisch, auf dem noch das schmutzige Frühstücksgeschirr stand, und ein Duft, der mir den Mund wässrig machte.
    »Was riecht hier so lecker?«
    »Ach ja!« Ksü klatschte sich auf die Stirn und öffnete den Backofen. »Das hab ich ganz vergessen. Hab noch heute früh vor der Schule einen Kuchen zusammengemixt und in den Ofen getan, damit er fertig ist, wenn wir kommen.«
    »Du kannst backen?«, fragte ich unangenehm überrascht. Ich selber konnte bei uns zu Hause höchstens den Toaster bedienen und auch da verbrannte jeder zweite Toast. Ingrid deutete manchmal an, ich hätte die beiden linken Hände meiner Mutter geerbt. Dabei konnte Mama gut kochen.
    »Ich bin die beste Kuchenbäckerin meiner Familie.« Ksü lachte laut. »Allerdings auch die einzige.«
    »Da wusstest du doch noch gar nicht, dass ich dich besuche«, murmelte ich, war aber wieder abgelenkt, denn gerade hatte ich mich umgedreht und sah auf die Wand der Küche, die frei von Küchenschränken war. Leer, bis auf ein Quadrum. Es zeigte ein lebensgroßes Mädchen am Fenster. Man konnte ihr Gesicht nicht sehen. Das Mädchen kniete mit dem Rücken zum Betrachter auf der Fensterbank und drückte offenbar gerade die Nase an der Scheibe platt. Es war etwa so alt wie Kassie und hatte auch blonde Locken.
    Es war ein Quadrum, das meine Mutter gemalt hatte.
    »Woher habt ihr das?« Ich deutete auf das Quadrum, ließ mir die aufsteigende Unruhe nicht anmerken.
    »Das? Hängt schon lange hier. Ich weiß es nicht mehr so genau. Bestimmt haben es meine Eltern gekauft.«
    »Dieses Quadrum kann man nicht kaufen. Die Malerin hat keine Lizenz.«
    »Keine was?«
    »Hast du noch nie davon gehört? Man muss als Künstler eine Erlaubnis haben, Kunst anzufertigen. Sonst darf man seine Quadren niemandem zeigen, das steht unter Strafe. Also auch nicht verkaufen, nicht einmal verschenken. Schon der Besitz ist strafbar«, erklärte ich. Ich konnte nicht fassen, dass Ksü das nicht wusste. »Du musst es abhängen und verstecken.«
    »Bin schon dabei, na klar, ab damit auf den Dachboden.« Ksü lachte schallend und tätschelte den Rahmen liebevoll. »Nee ehrlich, die Kleine bleibt hier in der Küche, und basta. Als ich noch drei oder vier war, hab ich mich immer mit ihr unterhalten.«
    »Das kannst du nicht. Sie ist gemalt.«
    »Wenn du meinst.« Ksü zuckte mit den Schultern.
    »Ich frage mich, wie ihr Gesicht aussieht«, flüsterte ich.
    »Hübsch sieht es aus. Sommersprossen, eine Narbe auf der Stirn.«
    Kassie hatte Sommersprossen und eine Narbe auf der Stirn. Als sie zwei war, war sie gestürzt und mit dem Kopf an einer Schrankecke angestoßen und hatte aus der Platzwunde geblutet wie ein Schwein. Mein Vater hatte geschrien, das müsse genäht werden, aber meine Mutter hatte die Blutung selber gestoppt. Kassie war nicht einmal im Krankenhaus gewesen.
    »Woher weißt du das? Was sie für ein Gesicht hat?«
    »Na, sie dreht sich manchmal um. Wenn sie will. Ist schon eine Type.«
    »Das kann sie nicht«, sagte ich mit Papas Stimme, als würde auf meinem eigenen Quadrum nicht auch manchmal der Wald rauschen

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