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Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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Schwester gewesen. Das war eine unkomplizierte Sache gewesen, im Vergleich zu jetzt. Er versuchte zwar, mich weiter so zu behandeln wie bisher. Aber es fiel ihm sichtlich schwer. Er sah mich viel öfter an. Er schüttelte mehrmals den Kopf, als könnte er es nicht glauben. Er murmelte irgendwas.
    »Entschuldige«, sagte er dreimal. »Ich bin einfach ziemlich überrascht. Laura ist … etwas sehr Besonderes. Allgemein für die ganze Welt und für Ksü und mich noch mal extra wichtig.«
    Ich schwieg. Ich war auch öfters ziemlich überrascht gewesen in diesen Tagen.
    »Siehst du«, sagte Ksü triumphierend zu mir. »Ich habe dir doch gesagt, wir hängen uns nicht einfach irgendeinen Schund in die Küche.«
    »Ich mag diese Norm-Sprüche nicht«, wies Ivan sie zurecht.
    »Meine Mutter hat keine Lizenz«, sagte ich. »Sie ist eine verbotene Malerin.«
    »Natürlich ist sie verboten.« Ivans Lachen klang traurig. »Wäre seltsam, wenn nicht. Wenn ich die größte Malerin dieser Zeit sage, dann meine ich es auch so. Ist dir schon mal aufgefallen, dass jeder auf dem Quadrum etwas anderes sieht?«
    »Nein«, sagte ich. Ich hatte mich noch nie mit jemandem über die Quadren unterhalten. Ich dachte an die üblichen Reaktionen, die sie bei dem Rest meiner Familie auslösten.
    »Weißt du, warum viele den Anblick nicht ertragen können?« fragte Ivan. »Die Quadren sind keine Bilder. Sie sind Spiegel.«
    Ich runzelte die Stirn. »Dann müsste man ja sich selber drauf sehen.«
    »Tust du das denn nicht?«
    Ich schaute das Mädchen auf der Fensterbank an. »Also, eins weiß ich ganz genau: Das bin ich nicht.«
    »Entweder du bist zu nah dran oder du musst noch ein bisschen wachsen«, sagte Ivan. Ich sah enttäuscht weg. Solche Sprüche sollte er lieber meinem Vater überlassen. Rein von der Länge her hatte ich außerdem wirklich nicht vor, noch weiter zu wachsen.
    »Aber wie kommt ihr überhaupt dazu? Meine Mutter hat ihre Quadren nie verkauft. Sie müssen alle auf unserem Dachboden lagern.«
    Ivan zuckte mit den Achseln. »Es gibt viele Wege.«
    »Zum Beispiel?« Ich starrte ihn an.
    »Ich will dich auf keinen Fall kränken, aber weißt du das wirklich nicht?«
    Ich schüttelte stumm den Kopf.
    Ivan fuhr sich durch das mondhelle Haar. »Es gibt so etwas wie einen Schwarzmarkt. Es gibt Menschen, die sich der Pheenkunst verschrieben haben. Einige riskieren sogar ihr Leben, um die Quadren vor der Zerstörung zu retten. Es gibt Freunde, denen die Malerin Quadren geschenkt hat. Und es gibt Einbrüche in Ateliers.«
    »Stimmt.« Ich achtete vor allem auf den letzten Satz. Bei uns war tatsächlich auch früher schon einmal eingebrochen worden – nach einem Urlaub, den wir wie immer in unserem Haus in einem Feriendorf verbracht hatten. Meine Eltern hatten damals kein großes Thema daraus gemacht, obwohl alles durchwühlt gewesen war, auch das Atelier meiner Mutter. Mein Vater hatte ein wenig über das Chaos und die Unverschämtheit geschimpft und jemanden von der Versicherung kommen lassen. Um die Quadren meiner Mutter ging es damals gar nicht. Niemals hätte ich gedacht, dass sie wichtig sein könnten.
    »Jedes Quadrum kostet ein Vermögen«, sagte Ivan. »Es sind ziemlich wenige im Umlauf. Die Geschichte von Lauras Quadren ist … ziemlich blutig.«
    »Ich hab doch selber eins in meinem Zimmer hängen«, sagte ich. »Meine Geschwister auch. Die Quadren sind für uns im Moment die einzige Erinnerung an …« Ich sprach es lieber nicht aus, bevor ich noch vor Ivan in Tränen ausbrach.
    »Ihre Mutter ist verschwunden. Spurlos«, erklärte Ksü, weil Ivan ratlos dreinblickte. »Ihre Eltern sind geschieden, aber ihre Mutter hat über zwei Monate das geteilte Sorgerecht gehabt. Vor ein paar Tagen ist sie einfach verschwunden.«
    Ivans Gesicht erstarrte für einen Augenblick, dann entspannte er sich wieder und pfiff anerkennend durch die Zähne. »Wirklich?«, fragte er. »Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass eine Phee das Sorgerecht für ihre Kinder bekommt.«
    »Das hatte ich schon gehört«, sagte ich bitter.
    »Aber bei Laura … Vermutlich liegt die Sache da anders.«
    »Warum?« Ich starrte ihn an. Was wusste Ivan über meine Mutter?
    »Du hast keine Ahnung, was ihre Quadren wert sind, oder? Was da für ein Geld im Spiel ist?«
    »Ihr müsst ganz schön Kohle haben«, fasste Ksü es weniger diplomatisch zusammen.
    Ich nickte automatisch. Ja, wir waren wohl reich, sogar nach den Maßstäben unseres Viertels. Bei uns hieß es

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