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Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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immer, dass die Familie meines Vaters sehr wohlhabend war und dass seine harte Arbeit in der Geschäftsführung extrem gut bezahlt wurde. Meine Mutter hatte bei der Heirat nichts besessen. Das änderte sich auch später nicht, denn bald nach der Hochzeit kümmerte sie sich ja um mich und später um meine Geschwister. Malen war ein Hobby, und das verursachte nur Kosten: die Heizung im Atelier, die Farben, die Leinwände. Mein Vater hatte es meiner Mutter manchmal vorgerechnet.
    »Ob Papa eine Ahnung davon hat, wie wertvoll die Quadren auf unserem Dachboden sind?«, überlegte ich laut.
    Ivan zuckte mit den Schultern. »Das wäre eine Erklärung, warum er das Sorgerecht geteilt hat. Gier ist das Einzige, was manchmal noch stärker ist als die Angst vorm Tod.«
    »Was kümmern mich das ganze Geld und diese Quadren, wenn meine Mutter verschwunden ist? Verstehst du? Sie ist verschwunden!«
    »Ich habe alles verstanden«, sagte Ivan.
    »Und wenn du alles darüber so genau weißt, hast du vielleicht eine Idee, was mit ihr passiert sein könnte?«
    Ich starrte ihm in die Augen, wohl wissend, dass es unhöflich war, geradezu eine Provokation oder etwas noch Schlimmeres, eine unverschämte Aufforderung, aber es war mir egal.
    Ivan sah als Erster weg.
    »Ich wünschte, ich könnte dir irgendwie helfen«, sagte er. »Aber ich habe leider nicht die geringste Ahnung, wie.«
    Wir unterhielten uns so lange, dass wir die Zeit vergaßen. Ich zuckte nicht mehr zusammen, wenn Ksü Kuchenkrümel unter den Tisch reichte. Ich sah auch nicht nach, wem sie da unten zufielen, zog nur meine Füße auf den Sitz. Ich gab mir Mühe, mir den Ekel nicht ansehen zu lassen, ich wollte nicht, dass Ivan mich wegen der Abneigung gegen seine Haustiere noch unhöflicher fand als wahrscheinlich jetzt schon.
    Ich fühlte mich müde und leer, aber zugleich auch aufgekratzt. Mir schwirrte der Kopf und ich war froh, dass wir nicht länger über meine Mutter sprachen. Stattdessen redeten wir über ganz andere Dinge: Wie Ksü sich auf dem Lyzeum fühlte, wie froh sie war, mich kennengelernt zu haben. Ich hätte zu gern gewusst, auf welche Schule sie vorher gegangen war. Ksü sagte nur, sie sei lange Zeit krank gewesen. Und dass sie noch nicht wusste, ob sie wirklich auf dem Lyzeum bleiben wollte. Ich erzählte, dass auch mir die Eingewöhnung damals ziemlich schwergefallen war. Allerdings hatte sich mir nie die Frage gestellt, das Lyzeum zu verlassen – es war eben die beste Schule, mein Vater zahlte dafür, und Schluss.
    Dann fielen mir plötzlich zwei Sachen auf. Erstens, dass die Eltern der Geschwister immer noch nicht nach Hause gekommen waren. Und zweitens, dass es draußen schon dunkel war. Ksü hatte die rote Kuppellampe über dem Küchentisch angeknipst. Wir saßen im warmen Lichtkegel, rötliche Schatten fielen auf unsere Gesichter. Wir alle drei schreckten auf einmal hoch und schauten gleichzeitig auf die Uhr an der Wand.
    »Oh nein!«, rief Ksü. Ich stellte mir sofort vor, wie meine Großmutter mich gerade bei der Polizei als vermisst meldete, weil sie weder den Namen noch die Adresse noch eine Telefonnummer von Ksü hatte. Ich war um diese Zeit sonst immer zu Hause.
    »Ich fahr dich«, sagte Ivan, »mein Rad ist schneller als Ksüs.«
    »Ich fahr hinterher!«, rief Ksü, aber Ivan schüttelte den Kopf.
    »Du kannst mir nichts verbieten«, sagte Ksü.
    »Kann ich sehr wohl.« Ivan grinste. »Und das hab ich schriftlich.«
    »Und wennschon. Komme trotzdem mit.«
    »Okay, dann bitte ich dich einfach in aller Freundlichkeit, hierzubleiben und auf unser Haus aufzupassen, bevor ihm auch die zweite Hälfte wegfliegt und wir zelten müssen«, sagte Ivan.
    Ich hatte damit gerechnet, dass Ksü nun weiterprotestieren würde, aber sie entgegnete nur deprimiert, dass sie noch nie einen blöderen großen Bruder gesehen hatte.
    Ich folgte Ivan nach draußen. Er hatte ein Motorrad, nach dem sich jeder Senior die Finger geleckt hätte. Es war schwarz, nur an den Seiten war etwas Rotes aufgemalt, das wie Flügel aussah. Ich hatte keine Zeit, mir die Zeichnung genauer zu betrachten. Ivan hatte sich in den Sattel geschwungen. Ich kletterte, mit Ksüs rotem Helm angetan, hinterher. Mein Herz klopfte und ich fand mich unglaublich tollpatschig.
    »Pass auf dich auf, bis morgen!« Ksü rannte die Treppenstufen runter, kam beim Motorrad an, hüpfte plötzlich hoch und schaffte es, mich im Sprung auf die Wange zu küssen.
    Ich war so verwirrt, dass ich nicht einmal Tschüss

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