Spiegelkind (German Edition)
Hoffnung. Ich konnte mir nur eine vorstellen, die mich so fröhlich anrempeln würde.
Dann stand ich mit dem Gesicht zu ihr. Es war wirklich Ksü, mit ihrem breiten Grinsen, den Segelohren, der Schlange auf dem Schädel.
Ich fiel ihr um den Hals.
Ksü stutzte kurz, dann erwiderte sie meine Umarmung. Es dauerte nur einen Augenblick, bis mir die Stille in der Kantine bewusst wurde, selbst das Besteck hatte aufgehört zu klappern, kein Wort war zu hören, das Gemurmel über den Tischen war verstummt.
Ich löste mich von Ksü.
Über hundert Augenpaare starrten uns an. Die Hände mit den Löffeln und Gabeln hingen wie festgefroren in der Luft.
Ich lief rot an. Es war, als wären mir plötzlich alle Klamotten vom Leib gefallen und alle Mitschüler hätten ihre Kameras rausgeholt.
Ksü schnappte mich an den Fingern und zog mich an einen freien Tisch. Ihre Hand war heiß und rau. Mir war es jetzt unangenehm, dass sie mich berührte. Aber ich war froh, nicht mehr in der Mitte des Speisesaals zu stehen.
Ich ließ mich auf den Stuhl fallen. Meine Wangen prickelten immer noch und auch die Ohren fühlten sich komisch an. Ich betastete sie, sie waren ganz heiß und irgendwie größer als sonst.
»Mach das nie wieder«, sagte ich.
»Was?« Ksü brauchte eine Weile, um zu kapieren, was ich ihr genau vorwarf. »Oh. Sorry. Daran habe ich nicht gedacht.« Sie machte ein unglückliches Gesicht. »Ich bin irgendwie ganz schön schlecht erzogen, nicht wahr?«
»Ja«, sagte ich. »Ich aber auch.«
Und dann prusteten wir beide los. Ich lachte laut und schallend und konnte auch dann nicht mehr aufhören, als Ksü längst ausgelacht hatte. Dabei war mir eigentlich gar nicht zum Lachen zumute. Aber ich lachte weiter und hielt mich am Tisch fest und dachte, wann werde ich bloß endlich ruhig. Irgendwann versiegte das Lachen, weil ich zu erschöpft war. Ich faltete meine Arme und ließ den Kopf darauf sinken. Ksü streckte die Hand aus, als wollte sie mir über den Oberarm fahren, zog sie aber schnell wieder zurück.
»Wo hast du gesteckt?«, fragte ich. »Ich habe die ganze Zeit auf dich gewartet.«
»Ich bin in eine andere Lerngruppe gekommen«, sagte Ksü. »Sie haben mich heute früh abgefangen und benachrichtigt.«
»Wieso das denn?«
»Keine Ahnung.« Sie stürzte sich wieder auf ihr Essen.
»Aber ich bin doch deine Patin. Sie können dich nicht woandershin stecken.«
»Ich glaube, genau darum geht es. Du bist nicht mehr meine Patin. Ich dachte, das wüsstest du.«
»Nein.« Ich warf meinen Löffel empört auf den Tisch. Er rutschte über die Platte und blieb knapp vor der Kante liegen. »Ich dachte, du wärest heute krank oder hättest dich verspätet.«
»Nein, ich bin nur in einer anderen Lerngruppe.«
»Und ich bin nicht mehr deine Patin.«
»Genau.«
»Was ist passiert? Sie haben mich doch dazu verpflichtet.« Ich spürte einen kleinen Stich Eifersucht. »Hast du schon einen neuen Paten? Hast du dir jemand anderen ausgesucht?«
»Nicht, dass ich wüsste«, sagte Ksü. »Ich glaube eher, man kann als Pate von der Patenschaft befreit werden, wenn man sich begründet beschwert.«
»Ich habe mich nicht beschwert!« Mir blieb die Luft weg. »Ich schwöre es! Ich war vielleicht am Anfang nicht gerade begeistert, wer ist das schon, aber jetzt ist es ganz anderes. Ich habe nichts gegen dich gesagt. Ich wollte gern weiter deine Patin bleiben.«
»Reg dich nicht so auf, ich glaub’s dir doch«, sagte Ksü.
Ich sah sie an. Sie aß weiter, schaute hin und wieder zu mir auf, lächelte mit vollem Mund. Sie wollte mich aufmuntern. Sie war offenbar wirklich nicht davon ausgegangen, dass ich sie nicht mehr haben wollte. Sie glaubte mir. Sie war so anders als ich. Ich hätte an ihrer Stelle sofort gedacht, dass meine Patin mich im Schulsekretariat angeschwärzt hatte, um mich loszuwerden. Ich hätte viele Beweise gebraucht, um mich vom Gegenteil zu überzeugen.
Ksü dagegen vertraute mir einfach so.
»Aber ganz zufällig ist es nicht«, sagte sie und mir wurde klar, dass ich mich zu früh gefreut hatte. »Heute Morgen wurde ich an der Schule kontrolliert. Ob ich einen Führerschein für das Moped habe. Zum Glück hatte ich zufällig alles dabei.«
Sie bewegte ihren Arm. Der Ärmel gab ihr Handgelenk und das glänzende Metall des Armbands frei. »Das Teil vergesse ich immer wieder«, sagte sie.
»Und ist dir noch was passiert?«, fragte ich. Irgendwas war hier faul.
»Ich muss gestehen, ich hatte mir ein bisschen Sorgen
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