Spiegelschatten (German Edition)
zu einem Freund in die Wohnung ziehe, hat ihn beruhigt. Ich habe ihm allerdings verschwiegen, dass es sich bei diesem Freund um Ingo handelt, mit dem er schon ein paar Mal aneinandergeraten ist.
Er wird es noch früh genug erfahren.
Ingo hat mir angeboten, mich zu Hause abzuholen, sobald der Sicherheitsdienst das neue Schloss eingebaut hat.
» Kommt nicht in Frage«, habe ich gesagt. » Schlimm genug, dass der Kerl mich aus meiner Wohnung vertreibt. Ich werde ihm nicht noch die Freude machen, mich in meiner Angst zu verkriechen.«
Das hat Ingo sofort verstanden.
Und jetzt bereite ich mich innerlich auf den Abschied vor. Niemand weiß, wie lange er dauern wird. Das macht ihn so schwer.
Björn hätte am liebsten einen Rückzieher gemacht, auch wenn alle ihn in seinem Vorhaben bestärkt hatten, die Stadt zu verlassen.
Sogar die Polizei.
» Sehr vernünftig«, hatte der Kommissar gesagt und ihn um die Adresse gebeten. » Für den Notfall, von dem wir hoffen, dass er nicht eintritt.«
Maxim, Romy und der Kommissar, dachte Björn, waren die einzigen Menschen, denen er ganz sicher trauen durfte. Abgesehen von den Eltern, die ihr Glück auf Mallorca suchten, ohne zu wissen, in welcher Lage sich ihre Kinder befanden.
Maxim und Romy.
Seine Felsen in der Brandung.
Kurz hatte Björn sich gefragt, ob Romy diesem Ingo vertrauen durfte. Doch dann hatte Maxim ihn daran erinnert, dass Ingo in seinem Artikel über die Trauerfeier deutlich Position bezogen hatte. Gegen den Mörder und seine Taten.
Und Romys Chef? War der vertrauenswürdig?
» Für Greg lege ich meine Hand ins Feuer«, hatte Romy gesagt.
Doch was war mit ihren Kollegen?
» Wir müssen aufpassen, dass wir keinen Verfolgungswahn entwickeln«, sagte Björn, als er seinen Rucksack zu dem übrigen Gepäck in der Diele stellte.
Maxim gab einen zustimmenden Laut von sich. Er war so damit beschäftigt, alles für ihre Abreise herzurichten, dass er kaum zuhörte. Wahrscheinlich drängte er nur deshalb zur Eile, damit Björn keine Zeit blieb, seinen Entschluss zu überdenken.
Nur drei Menschen waren darüber informiert, wo genau Björn und Maxim untertauchen würden: Romy, Gregory Chaucer und der Kommissar. Allen andern gegenüber war strengstes Stillschweigen vereinbart. Nicht einmal die Familienangehörige n du rften davon erfahren, ebenso wenig wie die Freunde, sogar die engsten unter ihnen.
Eine unheimliche Vorstellung, ganz ohne Netz und doppelten Boden aus dem gewohnten Leben zu fallen.
» Nimmst du mich bitte mal in die Arme?«
Maxim drehte sich um, zog ihn wortlos an sich und hielt ihn fest. Björn schloss die Augen und wünschte, sie wären schon aus der Verbannung zurück.
*
In der Nacht hatte Maxim wieder geträumt. Er hatte Björn nichts davon erzählt. Etwas sagte ihm, dass er den Traum für sich behalten sollte.
Wieder war das Bild unscharf gewesen, und wieder hatte Maxim nicht erkennen können, ob er sich in einer Landschaft befand oder in einem Raum.
Er wusste nur, dass er Angst hatte.
Das leise Geräusch, das er hören konnte, war erneut nicht klar einzuordnen. Befand er sich am Meer? Oder in einem Haus, das an einer viel befahrenen Straße lag? War es ein Flugzeug, das er hörte? Oder das Brummen eines Rasenmähers?
Er war im Dunkel gefangen.
Die Gestalt trat aus dem Licht auf ihn zu.
Der behäbige Rhythmus ihrer Schritte. Diese vielsagende Langsamkeit.
Diesmal hatte Maxim von Anfang an gewusst, dass es der Mörder war, vor dem er sich versteckte. Und dass es keine Möglichkeit gab, ihm zu entkommen.
Schreiend war er hochgeschreckt, doch der Schrei hatte sich nach innen gekehrt, kein Laut war nach außen gedrungen. Während Maxim keuchend versucht hatte, sich zu beruhigen, hatte seine Kehle sich angefühlt wie wund.
Neben ihm hatte Björn tief und fest geschlafen. Maxim hatte sich an ihn geschmiegt und war langsam wieder er selbst geworden.
Und dann hatte der Tag sie überrollt.
Sie packten.
Endlich.
Sie würden Bonn verlassen.
Nein, kein einziges Wort würde er über den Traum verlieren, nichts tun, was Björn dazu veranlassen könnte, seine Entscheidung womöglich rückgängig zu machen. Erst wenn sie in ihrem Versteck angekommen waren, durften sie sich sicher fühlen. Erst dann.
*
Romy legte zärtlich die Arme um den Hals ihres Bruders.
» Und du willst wirklich hierbleiben?«, fragte Björn sie zum x-ten Mal.
Maxim verstaute gerade das letzte Gepäckstück im Kofferraum seines alten Passat Kombi, dessen zahlreiche
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