Spiegelschatten (German Edition)
beruhigte ihn. Ein wenig fühlte er sich wie früher, wenn seine Mutter das Essen zubereitet hatte.
Er war dann gern bei ihr in der Küche gewesen, und sie hatte ihm ein nicht zu scharfes Messer gegeben, mit dem er Gemüse geschnippelt und später seine ersten Kartoffeln geschält hatte. Nie waren sie einander so nah gewesen wie damals.
Sein Vater sah es nicht gern, dass sein Ältester ständig in der Küche hockte und Weibergespräche führte. Der jüngere Sohn verbrachte die meiste Zeit auf dem Fußballplatz, die Tochter im Reitstall.
Wie es sich gehörte.
Bei so einem Vater, dachte Maxim oft, brauchte man keine Feinde.
Björn hatte eben einen Beutel Reis ins kochende Wasser geworfen, als etwas Großes, Dunkles gegen das Küchenfenster prallte.
» Was, zum Teufel…« Maxim stand auf und musste sich an der Tischkante festhalten, weil ihm plötzlich schwindlig war.
» Bleib hier«, sagte Björn. » Ich mach das schon.«
Doch Maxim gab sich einen Ruck, folgte Björn ins Wohnzimmer und durch die schmale Terrassentür in den Garten hinaus. Vorsichtig lugte Björn um die Ecke, dann trat er auf den Rasen und deutete auf eine Krähe, die reglos im Gras lag.
Sie war auf den Rücken gefallen und hatte sich den rechten Flügel gebrochen. Er hing, halbherzig ausgestreckt, an ihrer Seite hinab.
Als Maxim sich nach dem Vogel bückte, konnte er sein Spiegelbild in ihren schwarzen Augen erkennen. Jetzt bemerkte er, dass sie sich auch das Genick gebrochen hatte. Ihr Kopf war seltsam verdreht zur Seite geneigt.
Sacht hob Maxim den toten Körper auf und bettete ihn auf ein Moospolster unter der Ligusterhecke.
Schweigend gingen sie zur Terrassentür zurück, und Maxim fing mit einem Mal an zu frieren, dass es ihn schüttelte. Björn legte stumm den Arm um ihn, doch Maxim konnte nicht aufhören zu zittern. Er fragte sich, ob sie beide wohl gerade denselben Gedanken hatten.
Dass ihnen nämlich, seit sie hier angekommen waren, der Tod auf Schritt und Tritt folgte.
*
Björn wollte Maxim seine Sorge nicht zeigen. Natürlich war der Vogel von ganz allein gegen die Scheibe geflogen. Natürlich hatte da niemand nachgeholfen.
Aber hatte er gleich daran sterben müssen?
Normalerweise ging so etwas doch glimpflich aus. Die Tiere blieben eine Weile benommen auf dem Boden oder der Fensterbank hocken, rappelten sich wieder auf und erhoben sich in die Luft, als wär nichts gewesen.
Aber diese Krähe…
Der hängende Flügel, der wie eine fedrige Hand auf etwas zu zeigen schien. Der haltlos baumelnde Kopf, als Maxim den Körper hochgehoben hatte. Der blauschwarze Glanz des Gefieders.
Fliegt eine Krähe dreimal übers Haus, trägt man bald einen Toten heraus.
Doch der Vogel war nicht übers Haus geflogen.
Er hatte sich vorher das Genick gebrochen.
Björn wagte nicht, sich zu fragen, was das bedeuten mochte.
*
Kerim Yilmaz, mit dem Romy sich in der Unibibliothek verabredet hatte, war der Typ Mann, von dem Schwiegermütter träumen. Gut aussehend, freundlich und selbstbewusst, ohne zu gut auszusehen, zu freundlich zu sein oder zu selbstbewusst. Der Typ Mann, den man sich zum Freund wünscht, dem man bedenkenlos Geld leihen und dem man sein letztes Hemd schenken würde.
Er war einer von vier Söhnen eines türkischen Lagerarbeiters, der immer davon geträumt hatte, seinen Jungen einen guten Start in ein erfülltes Berufsleben zu ermöglichen. Voller Stolz erzählte Kerim von seiner Familie und von seiner Freundin, mit der er seit über einem Jahr zusammen war.
» Meine Eltern haben sie ohne Probleme akzeptiert«, sagte er, » obwohl sie Deutsche ist.«
Ihr Gespräch wurde immer wieder von Studenten unterbrochen, die nach einem bestimmten Buch oder einem Aufsatz fragten, und er half ihnen weiter, ohne die Geduld zu verlieren oder nervös zu werden.
Natürlich konnte all das auch Maske sein. Man sah einem Menschen nicht an, dass er getötet hatte, erst recht keinem Serientäter, der seine Morde kaltblütig plante.
» Was genau wolltest du jetzt eigentlich von mir wissen?«, fragte Kerim, als Romy sich von ihm verabschiedete.
Ob du der Mörder bist, der meinen Bruder bedroht, dachte Romy. Wahrscheinlich kann ich diesen Nachmittag komplett abhaken. Aber ich habe nichts anderes in der Hand als diese Liste, von der ich nicht mal weiß, ob es überhaupt sinnvoll war, sie zusammenzustellen.
» Nichts Konkretes«, wich sie aus. » Es gehört zu meinen Recherchen, dass ich mich mit Leuten aus dem Umfeld der Opfer unterhalte. Das
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