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Spiel der Angst (German Edition)

Spiel der Angst (German Edition)

Titel: Spiel der Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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wehte um die ehrwürdigen Gebäude des Campus. Hier und da flogen schon vereinzelt bunt gefärbte Blätter durch die Gegend.
    Ryan schlief noch, aber Emily konnte nicht mehr schlafen.
    Das hatte ihr ihre Mum auch von ihrem Dad erzählt. Egal, ob etwas Schlimmes passiert war oder ob man sich gestritten hatte: Männer legten sich einfach ins Bett und schliefen sofort ein. Auch wenn Ryan der erste Mann war, mit dem sie in einem Bett schlief, traf das auf ihn anscheinend auch zu.
    Es war sieben Uhr morgens. Sie trat vor die Tür ihres Wohnheimzimmers.
    Und erstarrte.
    Dort lag ein Brief auf der Fußmatte.
    Eigentlich nichts Ungewöhnliches, doch manchmal haben Dinge etwas Unheimliches, wenn man sie in einem bestimmten Kontext sieht. Ein Messer, mit dem ein Mensch ermordet wurde, hört auf, ein normales Messer zu sein. Eine letzte Voicemail, die jemand auf einem Handy hinterlassen hat, bevor er von einem Auto überfahren wird und an den Folgen stirbt, hört auf, eine normale Voicemail zu sein.
    Und ähnlich war es mit diesem Brief.
    Die Stille des Sonntags, dachte Emily. Die drückende Schwüle vor dem Gewitter. Die Ruhe, bevor der Schuss fällt.
    Sie hob den Brief auf. Sie zog ihre Bluse über die Hand, öffnete den Brief und achtete darauf, keine Fingerabdrücke zu hinterlassen.
    Er war wieder handschriftlich, mit einer geschwungenen Schrift in blauer Tinte.
    Dir, König Nebukadnezar, sei gesagt: Die Herrschaft wird dir genommen. Man wird dich aus der Gemeinschaft der Menschen ausstoßen. Du musst bei den wilden Tieren leben und dich vom Gras ernähren wie die Ochsen.
    So werden sieben Zeiten über dich hingehen, bis du erkennst, dass der Höchste über die Herrscher bei den Menschen gebietet und sie verleiht, wem er will. Noch in derselben Stunde erfüllte sich dieser Spruch an Nebukadnezar …
    Man verstieß ihn aus der Gemeinschaft der Menschen, und er musste sich vom Gras ernähren wie die Ochsen. Der Tau des Himmels benetzte seinen Körper, bis seine Haare so lang wie Adlerfedern waren und seine Nägel wie Vogelkrallen.
    Nebukadnezar, dachte Emily. Sie ging wieder rein.
    Ryan schlief immer noch und schnarchte leicht dabei. Dafür, dass er gestern auch sichtlich beunruhigt gewesen war, schlief er den ruhigen Schlaf der Gerechten. Emily wünschte, sie könnte das auch.
    »Ryan«, sagte sie, erst leise, dann etwas lauter.
    »Hmmmm«, grunzte er.
    »Ryan, wer ist Nebukadnezar?«
    Er öffnete kurz und blinzelnd die Augen.
    »Wer ist wer?«
    »Nebukadnezar!«
    »Nebukadnezar?«
    »Ja!« Emily verdrehte ungeduldig die Augen.
    »Das ist doch …«, nuschelte Ryan, während er kurz davor war, wieder einzuschlafen, »… das ist doch das Hovercraft in Matrix , oder?«
    Emily schüttelte den Kopf. Mit Leuten zu sprechen, die im Halbschlaf waren, war manchmal genauso wie mit Betrunkenen zu sprechen. Sie sprang auf.
    Vielleicht sollte sie lieber mit der Person sprechen, die sich mit solchen Themen viel besser auskannte und sie über den seltsamen Zettel und den Inhalt aufklären konnte, besonders, was das mit Nebukadnezar auf sich hatte.
    Und diese Person war wahrscheinlich gestern auch nicht mehr ewig auf der Party gewesen und jetzt vielleicht schon wach.
    Sie zückte ihr Handy, um Lisa anzurufen.

16
    Er lächelte. Das Bild würde morgen in allen Zeitungen zu sehen sein.
    Die Medien würden ihre Story haben.
    Die Polizei würde aufwachen.
    Und Emily würde es als eine der Ersten sehen.
    Sie würde sehen, dass es ihn noch gab und zu was er fähig war.
    Dagegen war die Sache mit der Kleiderpuppe läppisch gewesen.
    Sie würden sehen, zu was er fähig war. Fähig war zu tun mit Menschen wie Mary Barnville.
    Und bald auch anderen.
    Mary, dachte er, sie, die doch immer ganz nach oben wollte. Jetzt war sie ganz oben.
    Er schaute in das Gesicht der Toten, während sich im Osten über dem East River schon die ersten Andeutungen der Morgensonne abzeichneten.
    Sie hatte sich dem Geld untertan gemacht und hatte ihn darunter leiden lassen.
    Nun sah sie hinunter auf die Hauptstadt des Geldes. Gefesselt an die riesige Antenne auf dem höchsten Punkt des Wolkenkratzers, blickte sie mit toten Augen auf die Stadt hinunter.
    Babylon, du große Hure, dachte er und schaute ebenfalls auf die glitzernde Stadt, der Herr wird dich mit seinen Schwingen erschlagen.
    So würde auch Emilys Welt untergehen, ihre Welt des Friedens und der Freude, von der sie glaubte, sie würde ewig so weiterbestehen.
    Doch man sollte schöne Dinge genießen, so lange sie

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