Spiel der Angst (German Edition)
tun.«
Sie hatten noch achtundzwanzig Minuten. Eigentlich lächerlich viel, doch Emily hatte immer wieder gemerkt, dass die Zeit eine Lunte sein konnte. Kurz und schnell brennend. Sie dachte wieder an den Auftrag.
Ihr habt vom Koloss mit den tönernen Füßen gehört. Nummer neun von Babylon. Jetzt steigt auf diesen Koloss hinauf und gebt mir das Licht, das ihr bei euch tragt. Ihr habt dreißig Minuten.
Und ganz besonders dachte sie an die letzten beiden Sätze.
PS : Tut ihr das nicht, sollte Julia sich im Flieger ganz nach vorn setzen. Denn dann kommt beim Absturz der Servierwagen automatisch noch einmal vorbeigefahren …
Emily nickte. Sie merkte, dass sie sich der Lösung näherte. Irgendwie. »Fangen wir mal von vorn an. Woran denkt man denn immer, wenn man von Babylon hört?«
»Vom Turmbau zu Babel«, sagte Ryan. »Das weiß ja sogar ich.«
»Okay, was könnte dann Nummer neun heißen?«, fragte Emily weiter.
»Ein Wolkenkratzer mit der Hausnummer neun?«, mutmaßte Ryan.
Emily schüttelte den Kopf. »Glaube ich nicht. Es wird Hunderte von Wolkenkratzern geben mit der Hausnummer neun, aber vielleicht …«
»Vielleicht nur einen?«, sprach Ryan weiter.
»Nur einen, der vielleicht der …« Emily lag es auf der Zunge.
»Der was?«, fragte Lisa.
»Der vielleicht der neunthöchste ist?«, warf Emily ein.
Lisa und Ryan nickten.
»Lass uns das mal checken.« Ryan tippte wieder in sein Smartphone.
»Bingoooo«, sagte er langgezogen. »Das könnte doch passen.« Er schaute beide an. »601 Lexington Avenue.«
»So heißt das Gebäude?«, wollte Lisa wissen.
»Seit 2009 steht hier. Früher hieß es Citigroup Center. «
Emily erinnerte sich, dass ihr Dad mal davon gesprochen hatte, dass die Citigroup in der Finanzkrise 2008 ordentlich Federn gelassen hatte. Deswegen hatte sie wohl die Immobilie verkauft.
»Das muss ja die Citibank sein«, sagte Emily. »Mein Dad hat davon mal etwas erzählt.«
Ryan zuckte die Schultern. »Scheint so.«
»Wo ist das?«, fragte Lisa.
»An der 153 East 53.« Er stand auf und winkte ein Taxi heran. »Wir müssen uns beeilen. Wir haben nur noch fünfundzwanzig Minuten.«
Als wenn Emily das nicht selbst wusste. Seit sie mit diesem Irren zu tun hatte, tickte immer irgendwo eine Uhr. Eine Uhr, deren Ticken wie das Hämmern von Geschossen war.
»Und es könnte sein«, sprach Ryan weiter, »dass wir da auch noch hoch müssen.«
»Oh Gott«, sagte Emily, die Höhenangst hatte. »Warum denn?«
»Was meinst du, was wir mit der Lampe machen sollen?« Ryan kniff ein Auge zu. »Um Erleuchtung bitten?«
Sie schaute wieder auf den Zettel.
Ihr habt vom Koloss mit den tönernen Füßen gehört. Nummer neun von Babylon. Jetzt steigt auf diesen Koloss hinauf und gebt mir das Licht, das ihr bei euch tragt. Ihr habt dreißig Minuten.
Sie stiegen ins Taxi, dass die West 34th Street hinunterraste, vorbei an der siebten und der sechsten Avenue.
Noch zwanzig Minuten.
»Wieso ist das ein Koloss mit tönernen Füßen?«, fragte Emily. »Kippt der etwa um?« Die Vorstellung, dass ein riesiger Wolkenkratzer umkippen würde, vor allem dann, wenn Emily ganz oben stand, erweckte nicht gerade Wohlgefühle in ihr.
Das Taxi jagte vorbei an der berühmten 5th Avenue und dann links hoch in die Madison Avenue.
»Hast du das Gebäude schon mal gesehen?«, fragte Lisa.
»Jedenfalls nicht bewusst«, entgegnete Emily.
»Das Ding steht auf vier Pfeilern – und zwar keine Außen-, sondern Innenpfeiler«, sagte Lisa. »Es gab wohl damals, als es gebaut wurde, ewige Diskussionen, ob das nicht zu unsicher sei. Auch wenn es jetzt schräg und irgendwie interessant aussieht.«
»Seid ihr Architekturstudenten?«, fragte der Fahrer und schaute nach hinten.
Sie zuckten die Schultern.
»Nicht ganz.«
Was ging den das schließlich an?
Das Taxi fuhr nach Norden, rechts das Grand Central Terminal. Dann stockte es kurz.
»Verdammter Stau«, knurrte der Taxifahrer, »was ist da vorne los? Um die Zeit ist doch sonst immer alles frei!«
Emily sackte das Herz in die Hose. Es schien eine Ewigkeit zu dauern.
Nur noch fünfzehn Minuten.
Dann ging es wieder vorwärts.
Sie atmete tief durch.
Gott sei Dank!
»Hier steht«, sagte Ryan, der weiterhin in seinem Smartphone nach Informationen suchte, »dass damals eine kleine Kirche auf dem Grundstück stand, auf dem die Citibank das Hochhaus bauen wollte. Irgendwie einigte man sich wohl, dass die Kirche stehen bleiben sollte, und deswegen hat man die Lösung mit
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