Spiel der Finsternis: Der Bund der Schattengänger 10 - Roman (German Edition)
geweckt?«, fragte Ian, der augenblicklich besorgt war. Er streckte seine Arme nach dem Jungen aus. »Komm her, kleiner Mann.«
Daniel sah an Ian vorbei, und sein Blick richtete sich auf Azami. Er lächelte strahlend, hakte seine Zeigefinger ineinander und bildete damit in Zeichensprache das Wort für »Freund«. Er streckte ihr seine Arme entgegen und stieß sich fast von Ryland ab.
Azami nahm den Jungen und schmiegte ihn an sich. »Hallo, mein kleiner Freund. Haben wir dich aufgeweckt? Deine Onkel haben mir gerade spannende Geschichten über ihre früheren Abenteuer erzählt.« Sie sprach mit ihm, als sei er ein Erwachsener, kein Kleinkind, und sie sah ihm in die Augen, während sie ihn eng an sich hielt.
Sam konnte sie sich mit ihrem gemeinsamen Kind ausmalen. Sie wäre mit Sicherheit eine fürsorgliche Mutter, die ihr Kind beschützen würde; es war schon daran zu erkennen, wie sie Daniel hielt.
»Ihr kennt euch bereits?«, fragte Ryland.
Sein Tonfall brachte Sam auf. Er setzte sich aufrechter hin und schwang für alle Fälle seine Beine über die Bettkante, auch wenn er nicht sicher war, wozu er das tat. Rylands Stimme hatte mehr als argwöhnisch geklungen, regelrecht anklagend. Dazu kam noch, dass sein Team auf Alarmbereitschaft geschaltet hatte. Hier ging es um Daniel, das Familienmitglied, das sie mehr als jedes andere beschützten, und eine Fremde war inmitten von ihnen an ihn herangekommen.
»Daniel hat uns alles über seinen neuen Freund erzählt. Wir dachten, er hätte einen imaginären Spielkameraden erfunden.« Rylands Blick richtete sich auf Ians Gesicht. Ian – Azamis Wächter. Wenn sie Daniel getroffen hatte, wo hatte diese Begegnung dann stattgefunden, und wie war es dazu gekommen?
Ian wand sich unbehaglich. Es spielte keine Rolle mehr, dass sie gerade noch alle mit Azami gelacht hatten; jetzt sah jeder Mann sie an, als sei sie der Feind. Sam kam auf die Füße und lehnte sich kurz an das Bett, ehe er wieder stabil stand.
Diesmal war Rylands Anschuldigung unmissverständlich, und Sam konnte ihn verstehen. Lily hatte erschrocken auf die Vorstellung reagiert, Daniel bräuchte einen imaginären Spielkameraden. Daniel musste streng vor Außenstehenden beschützt werden, und doch hatte das Kind Azami wie eine alte Freundin begrüßt, was bedeutete, dass sie einander schon mehrfach getroffen hatten. Daniel war Fremden gegenüber von Natur aus argwöhnisch.
»Er ist ein wunderbarer Junge und so aufgeweckt«, sagte Azami, als Daniel sich an sie kuschelte. Sie wiegte ihn behutsam. »Er ist in der ersten Nacht in mein Zimmer gekommen. Ich habe ein leises Geräusch im Lüftungsschacht gehört, und eine Schraube ist auf den Boden gefallen. Als ich aufgeblickt habe, hat er lachend auf mich hinuntergeschaut. Er war ziemlich neugierig, weil Sie Besuch hatten, den Sie ihm nicht vorgestellt haben. Ich habe ihm erklärt, nicht alle Fremden seien gute Menschen, manche könnten ihm gefährlich werden und deshalb beschützten Sie ihn. Er beherrscht die Zeichensprache recht gut.«
Azami erhob ihre Stimme nicht und erweckte auch nicht den Eindruck, als nähme sie die gesteigerte Anspannung im Raum wahr. Sie wirkte entspannt, und ihre Aufmerksamkeit galt ganz dem Kleinkind, doch Sam ließ sich nicht im Mindesten davon täuschen. Sie war eine Kraft, die man nicht unterschätzen durfte, und aus irgendeinem Grund fühlten seine Teamkameraden ihre Energien nicht so deutlich wie er. Das bereitete ihm weiterhin Sorgen.
Lange Zeit herrschte Schweigen. Niemand hatte diese Erklärung erwartet, aber es hätte sie nicht wundern sollen. Daniel war eindeutig ein Entfesselungskünstler. Er konnte von überall entkommen, und er mochte schmale Ritzen und benutzte Werkzeuge bereits wie ein Profi.
Ryland sah seinen Sohn finster an. »Du bist ins Schlafzimmer unseres Gastes gegangen, Daniel? Hältst du das etwa für ein angemessenes Benehmen?« Er seufzte, während er das sagte.
Daniel schüttelte den Kopf, schmiegte sich enger an Azami und antwortete seinem Vater in Zeichensprache.
»Mir ist egal, dass es sie nicht gestört hat.« Rylands Stimme klang mürrisch. »Sie ist unser Gast. Ihr Schlafzimmer ist uns heilig, es ist ihr Zufluchtsort. Dort dringen wir nicht ein. Hast du verstanden?«
Daniel nickte.
»Außerdem ist es gefährlich für dich, ohne unser Wissen Fremde zu besuchen. Dafür wirst du mal eine Auszeit nehmen müssen.« Jetzt klang Rylands Stimme noch strenger. Daniels Gesicht verzog sich, und Tränen traten in
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