Spiel der Herzen (German Edition)
anderen Ende des Tisches. Weiter hätte er nicht von Annabel entfernt sein können, die zwischen ihrem Bruder und einem Kerl saß, der ihr unentwegt auf die Brust schaute. Jarret verbrachte die nächste halbe Stunde damit, auf interessante Neuigkeiten aus der Bierbrauerbranche zu lauschen und die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, Annabels Tischnachbarn mit seiner Austerngabel die Augen auszustechen. Sein einziger Trost war, dass ihr die lüsternen Blicke des Mannes so viel Unbehagen bereiteten, dass sie ihr Dekolleté schließlich mit ihrem Umschlagtuch bedeckte.
Erst dann beruhigte er sich – obwohl er sich fragen musste, warum er sich überhaupt derart über den Mann ärgerte. Sie hatte ihm sehr deutlich gemacht, dass sie selbst auf sich aufpassen konnte.
Außerdem hatte sie ihm auf den Kopf zugesagt, woran er bei ihr war. Er hatte kein Recht, besitzergreifend zu sein. Er wollte dieses Recht auch gar nicht haben.
Zumindest hatte er es nicht haben wollen, bis sie in diesem Feenköniginnenkleid aufgetaucht war, das in ihm die Sehnsucht weckte, es ihr Zentimeter für Zentimeter vom Körper zu schälen.
Zur Hölle noch mal! Er musste aufhören, sich solche Dinge auszumalen.
Er konzentrierte sich auf das, was die anderen Männer sagten. Als Erstes erfuhr er, dass sich ein Abend unter Geschäftsmännern deutlich von einem Abend unter seinesgleichen unterschied. Die Geschäftsmänner verbrachten ihn tatsächlich damit, über Geschäftliches zu reden. Vater hätte so etwas für ordinär gehalten.
Er fand es jedoch erfrischend. Von diesen Männern ging eine Energie aus, die den wenigen gesellschaftlichen Anlässen abging, an denen er teilnahm. Noch dazu waren sie äußerst gewitzt, denn jeder versuchte, möglichst unauffällig Informationen über seine Konkurrenten zu ergattern. Es war wie eine Partie Pikett mit einem richtig guten Gegner: Nur der konnte gewinnen, der es am besten verstand, seine Rückschlüsse zu ziehen, und Jarret wollte auch hier gewinnen.
Als der Tanz begann, verließ er den Tisch nur ungern, aber er hätte sich keine Gedanken machen müssen. Die Herren wechselten zwar in den entsprechenden Raum, doch einige von ihnen versammelten sich gleich um die Punschschale und begannen, über die neuesten Dampfkesselpatente zu diskutieren.
Lake gesellte sich schon bald zu ihnen, und Jarret hörte aufmerksam zu, wenn er seine Meinung äußerte. Er war offenkundig sehr versiert in seinem Beruf, auch wenn ihm die Leidenschaft der anderen Herren fehlte.
Als Mrs. Lake dazukam und ihren Mann um einen Tanz bat, bemerkte Allsopp, der neben Jarret stand: »Miss Lake sieht heute Abend wirklich bezaubernd aus.«
Jarret stellte mit einem Seitenblick fest, dass er Annabel mit mehr als freundlichem Interesse beäugte. Das seltsame besitzergreifende Gefühl, das in ihm aufstieg, setzte ihm ebenso zu wie die plötzliche mörderische Wut, die ihn packte, als er sah, wie Allsopp Annabel von oben bis unten musterte.
Der Mann hatte eine Frau, verdammt! Er durfte Annabel nicht so ansehen. Niemand durfte sie so ansehen! Jarret gelang es nur mit allergrößter Mühe, sich die Warnung zu verkneifen, die ihm auf der Zunge lag. Stattdessen sagte er: »Es überrascht mich, dass sie nie geheiratet hat.«
Allsopp kippte seinen Punsch hinunter. »An Anträgen hat es offenbar nicht gemangelt. Wie ich hörte, hat sie zwei oder drei Männern, die sie heiraten wollten, einen Korb gegeben.«
Jarret war verblüfft. Anscheinend war er nicht der Einzige, der Annabels hohen Ansprüchen nicht genügte. Diese Erkenntnis hätte ihm ein Trost sein müssen, doch sie warf nur weitere Fragen auf. Warum wollte eine Frau, die so sinnlich und kinderlieb war, nicht heiraten?
»Vielleicht will sie lieber zu Hause bleiben, um sich um ihren Bruder zu kümmern«, sagte er.
»Nun, um den muss man sich allerdings kümmern.«
Allsopps abfälliger Ton machte Jarret misstrauisch. »Wegen seiner Krankheit, meinen Sie.«
Allsopp lachte. »Nennt man das heutzutage so?«
»Wohl kaum«, sagte Jarret nach kurzer Überlegung und bemühte sich, möglichst gleichgültig zu klingen. Er hielt die Luft an und hoffte, dass Allsopp fortfahren würde. Wenn er ihn unverblümt fragte, was er gemeint hatte, machte Allsopp wahrscheinlich dicht.
»Wir dulden Trunksucht natürlich nicht, wie Sie und Ihresgleichen es zu tun pflegen. Es ist nichts daran auszusetzen, wenn man hin und wieder einen über den Durst trinkt, aber wenn jemand ständig zur Flasche greift und
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