Spiel der Herzen
wieder soweit, daß die Katze aus dem Sack gelassen werden mußte. Wie schon zu Inspektor Felchen, sagte Werner: »Ich brauche von Ihnen eine Anschrift.«
Felchens Antwort war darauf gewesen: ›Welche Anschrift?‹
Fahrenheits Erwiderung ging gleich einen Schritt weiter: »Hoffentlich keine postlagernde?«
»Doch.«
Dieses kleine, kurze Wörtchen veränderte die Atmosphäre merklich. Sie verlor an Freundlichkeit. Amtmann Fahrenheit ließ die Hand mit der Pfeife, aus der er gerade wieder einen Zug hatte nehmen wollen, unverrichteterdinge auf die Schreibtischplatte sinken.
»Sie machen Scherze, Herr Doktor«, sagte er.
»Nein, ich –«
»Sie machen keine Scherze?« unterbrach Fahrenheit mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Nein.«
»Auf Wiedersehen, Herr Doktor Ebert.«
Amtmann Fahrenheit war der klassische Typ eines Mannes mit einem harten Kern in einer weichen Schale. Er verkörperte also die Umkehrung der bekannten Metapher. Werner zeigte sich von dieser Erkenntnis zunächst überrascht, dann schien es ihm angeraten, sich dumm zu stellen. Und nun ging's Schlag auf Schlag.
»Ich verstehe Sie nicht«, sagte Werner.
»Sie sollen gehen!«
»Warum? Haben Sie – entschuldigen Sie den Ausdruck – etwas in den falschen Hals gekriegt?«
»In den richtigen?«
»Inwiefern?«
»Das wissen Sie ganz genau!«
»Was weiß ich ganz genau?«
»Zwingen Sie mich nicht, noch deutlicher zu werden. Für das, was Sie hier versucht haben, gibt es eine ganz klare Bezeichnung. Sie steht im Strafgesetzbuch.«
»Wo steht sie?«
»Im Strafgesetzbuch.«
»Dann warne ich Sie!« suchte Werner sein Heil darin, den Spieß umzudrehen. »Das wird ja immer schöner. So dürfen Sie mir nicht kommen. Was im Strafgesetzbuch steht, weiß ich wahrscheinlich besser als Sie. Ich habe nämlich – das wird Sie überraschen – Jura studiert. Zum Journalismus kam ich auf Umwegen. Genügt Ihnen das?«
Wenn Werner Ebert vielleicht gedacht hatte, damit Fahrenheit ins Bockshorn zu jagen, dann irrte er sich. Der Amtmann erwiderte nämlich: »Mir genügt Ihr ganzer Besuch! Gehen Sie endlich! Ich sagte schon lange auf Wiedersehen!«
Mit rotem Kopf sprang Werner auf.
»Wer ist Ihr Vorgesetzter?«
Werner Ebert war ein hochintelligenter Mensch, aber es zeigte sich hier wieder einmal, daß auch hochintelligente Menschen in solchen Situationen, wenn sie sich zu ihren Ungunsten wenden, den Verstand rasch einbüßen, so daß ihre Reaktionen sich zuletzt von denen eines Idioten nicht mehr unterscheiden. Werners Frage nach Fahrenheits Vorgesetztem schien geradezu Heiterkeit zu erregen, denn grinsend antwortete der Amtmann: »Oberpostrat Wieland oder seine Stellvertreterin, Frau Dr. Herzer.«
Werner wandte sich ohne Gruß zur Tür.
»Zimmer vierhundertsechzehn oder achtzehn im vierten Stock!« rief Fahrenheit ihm nach.
Draußen auf dem Flur hätte Werner gut daran getan, sich zuerst einmal abzureagieren. Dann wäre er nämlich rasch zu der Einsicht gekommen, daß es sich empfohlen hätte, wieder der Vernunft Gehör zu schenken, dem Verwaltungstrakt ade zu sagen und Kurs auf Heidenohl zu nehmen. Er tat das aber nicht, sondern sprang in den Paternoster und fuhr hinauf in die vierte Etage.
Er kochte. Nun ging es ihm in erster Linie nicht mehr darum, die Adresse Thekla Bendows ausfindig zu machen, sondern einem lächerlichen Amtmann zu zeigen, was es hieß, sich mit ihm, Werner Ebert, angelegt zu haben.
Im Wesen von Verwaltungsgebäuden liegt es, daß es nicht so ganz einfach ist, in ihnen die Zimmer, die man sucht, zu finden. Auch Werner Ebert irrte eine Weile herum, bis er sich am Ziel sah. Inzwischen hatte Amtmann Fahrenheit Zeit gehabt, mit der vierten Etage zu telefonieren.
Auf dem Flur galt es für Werner, die Frage zu entscheiden, welchem der beiden Zimmer – vierhundertsechzehn oder vierhundertachtzehn – der Vorzug zu geben war. Türschildern war zu entnehmen, daß auf Zimmer vierhundertsechzehn Oberpostrat H. Wieland saß, auf vierhundertachtzehn, im Rang einer Posträtin, Frau Dr. E. Herzer.
Werner Ebert wäre nicht Werner Ebert gewesen, wenn er nicht an die Tür von Frau Dr. E. Herzer geklopft hätte.
Frau Dr. Herzer hatte eine gescheiterte Ehe hinter sich. Sie war 42 Jahre alt, kleidete sich elegant, war nicht gerade eine Schönheit, sah aber recht reizvoll aus. Sie war, wenn man so will, ein ›eigener Typ‹. Das Scheitern ihrer Ehe bedeutete nicht, daß ihre Wohnung seit der Scheidung sozusagen jungfräulicher Boden gewesen wäre.
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