Spiel Der Sehnsucht
Sie mir ein Kompliment gemacht?«
»Wenn Sie Arroganz für eine Tugend halten, dann habe ich das wohl«, erwiderte Lucy und verbarg ihre Verwirrung hinter einer Maske des Argers. »Entschuldigen Sie mich, Lord Westcott.« Sie drehte sich um, um in die Kutsche zu steigen.
Aber er ließ sie nicht gehen, und als sie versuchte, sich loszureißen, schlössen seine Finger sich noch enger um ihr Handgelenk. »Ich heiße Ivan«, erinnerte er sie mit leiser, rauher Stimme.
Er beugte sich vor, um ihre Hand zu küssen. Doch es waren nicht ihre behandschuhten Finger, die er küßte, denn irgendwie hatten seine Lippen das Stück bloßer Haut gefunden, wo ihr Ärmel und der modisch kurze Handschuh eine Lücke ließen. Er küßte die Innenseite ihres Handgelenks, in dem der Puls stürmisch raste, und er küßte mit beiden Lippen und der Zunge, so wie er ihren Mund in der Bibliothek der McClendons geküßt hatte.
Sofort machten sich von diesem kleinen Hautfleckchen aus prickelnde Gefühlswellen auf die Reise durch Lucys ganzen Körper, wie bei einem ins Wasser geworfenen Stein, der immer weitere Kreise verursacht. Lucy verlor unter dem Anprall der Gefühle fast das Gleichgewicht.
Jeder Gedanke an Sir James war wie weggeblasen, vertrieben von Ivans überwältigender Präsenz, von der Geschmeidigkeit seiner Lippen, von der Wärme seiner Berührung, von dem Duft nach Seife, Tabak und etwas anderem, Undefinierbarem, das nur ihm zu eigen war.
Lucy war seinem Zauber verfallen, trotz all der guten Gegengründe, die sie sich so oft vor Augen gehalten hatte. Sie wußte, daß er ebenso unaufrichtig war, wie er gut aussah. Und trotzdem konnte sie ihm nicht widerstehen.
»Bitte nicht«, flüsterte sie, ohne zu merken, daß sie gesprochen hatte.
Als er seinen Kopf hob und sie musterte, wußte sie, daß er in ihrem Gesicht wie in einem Buch lesen konnte.
Das war nicht gut. Aber weder konnte sie ihre Augen von seinem Blick lösen, noch konnte sie ihre Hand aus seinem Griff befreien.
Es war Valerie, die den Bann brach. »Miss Drysdale?«
fragte sie. »Fahren wir nicht nach Hause?«
Ivan ließ Lucy los, und diese kletterte, wütend auf sich selbst, in die Kutsche, wobei sie es ablehnte, sich auf ihn zu stützen. Steif setzte sie sich neben Valerie.
Warum muß ich jedesmal den Kopf verlieren, dachte sie verärgert.
Ivan stieg nach ihr ein, schloß den Verschlag und setzte sich den beiden Frauen gegenüber. Mit einem kräftigen Klopfen bedeutete er dem Kutscher loszufahren, und mit einem plötzlichen Ruck setzte das Gefährt sich in Bewegung. Ivan lehnte sich nachlässig zurück und betrachtete die beiden Frauen in der Düsternis des Wageninneren.
Noch war die kleine Laterne in der Kutsche nicht entzündet, wofür Lucy dem Himmel dankte. Sie wollte nicht, daß er noch mehr aus ihrem Gesicht herauslas, weder den Zorn noch den schleichenden Schrecken. Aber sie hatte nicht mit der Wirkung seiner leisen, seidigen Stimme in der Dunkelheit gerechnet.
»Ich hoffe, daß Sie beide die Vorlesung genossen haben.«
»O ja, sehr!« rief Valerie. »War Sir James nicht einfach großartig? Er war so lehrreich. Ich hatte nie zuvor darü-
ber nachgedacht, warum mein Bruder Claude immer an Harry herumgekrittelt hat. Aber dank Sir James ist es mir jetzt klar. War er nicht einfach großartig?« wiederholte sie.
Ivan kicherte amüsiert. »Und Sie, Miss Drysdale? Fanden Sie ihn ebenfalls großartig?«
»Jawohl«, antwortete Lucy kühl. »Und Sie?«
»Recht interessant. Interessanter jedenfalls, als ich erwartet hatte. Ich glaube jetzt zu verstehen, weshalb Sie so unnachgiebig auf dem Besuch seiner Vorlesung bestanden.« Er hielt gerade lange genug inne, um in Lucy Zweifel an der Bedeutung seiner Worte aufkommen zu lassen.
»Was ich nicht verstehe«, fuhr er fort, »ist, weshalb Sie Lady Valerie mitgenommen haben. Sir James' aufrührerische Ideen werden ihr nicht helfen, eine gute Partie zu machen.«
»Eine gute Partie zu machen ist nicht alles«, gab Lucy zurück. Doch ihr Mut sank. Er wußte es. Er hatte mit unfehlbarem Gespür ihr Interesse an Sir James und ihre Eifersucht auf Valerie bemerkt. Lucy wäre am liebsten im Erdboden versunken.
Doch sie durfte nicht zulassen, daß Ivan die Oberhand gewann, also fuhr sie fort: »Ich zum Beispiel bin als ledige Frau viel zufriedener als ich es im Gefängnis einer unglücklichen Ehe wäre.«
»Mir geht es ebenso«, sagte Ivan. »Passen Sie auf, Lady Valerie, Heirat ist kein erstrebenswertes Ziel.«
»Das
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