Spiel Der Sehnsucht
kam.
»Da holt mich meine schlechte Erziehung wieder ein.«
Lucy durchbohrte Ivan mit einem, wie sie hoffte, nie-derschmetternden Blick. »Das ist keine Entschuldigung dafür. Nun, ich darf wohl.«
Damit wandte sie sich von Ivan ab, um das Gespräch zwischen Valerie und Sir James zu unterbrechen. Doch Ivans Anwesenheit in ihrem Rücken blieb ihr peinlich bewußt.
Plötzlich wisperte er in ihr Ohr: »Wollen Sie mich nicht vorstellen?«
Lucy wollte nicht, falls es sich irgend vermeiden ließ.
Doch genau in diesem Augenblick wurde Ivan von Valerie bemerkt.
»Ach, Lord Westcott« rief sie aus, ohne eine Spur ihrer sonstigen Verlegenheit. »Haben Sie auch Sir James' Vorlesung gehört?«
»Ich bin leider ein wenig zu spät gekommen, um alle Theorien von Sir James über die negativen Auswirkungen des Erstgeburtsrechts mitzubekommen.« Er streckte dem Gelehrten die Hand hin. »Ich bin Ivan Thornton, Lady Valeries Vetter.«
Sir James ergriff die dargebotene Hand und stellte sich seinerseits vor. Dann fügte er fragend hinzu: »Lord Westcott? Sie sind der Graf von Westcott?«
»Derselbe.«
»Ein erstgeborener Sohn, nicht wahr?« meinte Sir James mit leicht mißbilligendem Ton.
»Ein einziger Sohn, und noch dazu ein außerehelicher«, gab Ivan mit trügerisch süßer Stimme zurück.
Die beiden Männer maßen einander für einen langen, unangenehmen Moment. Dann nickte Sir James. »Ja, na-türlich, natürlich. Ich frage mich, ob Sie und Lady Valerie und Miss Dinsdale ...«
»Drysdale«, unterbrach ihn Lucy.
»Verzeihung«, antwortete er abwesend. »Würden Sie drei meine Gäste beim Abendbrot sein? Ich esse nie vor einer Vorlesung, und jetzt bin ich sehr hungrig«, erklärte er und heftete den Blick wieder auf Valerie.
»Danke, Sir James, aber ich fürchte, das wird nicht möglich sein«, warf Lucy ein, ehe die anderen etwas sagen konnten. »Man erwartet uns in Westcott House«, fügte sie hinzu, als Valerie ihr einen bittenden Blick zuwarf. »Lady Antonia wäre ziemlich verärgert, wenn wir uns verspäteten.«
Valerie schien niedergeschlagen, aber noch niedergeschlagener war Sir James. »Vielleicht am Donnerstag?«
fragte er hoffnungsvoll. »Sie werden doch am Donnerstag meine Vorlesung besuchen, Lady Valerie?«
»Ich werde mich persönlich darum kümmern«, antwortete Ivan an ihrer Stelle. »Aber jetzt sollten wir uns auf den Weg machen.«
»Sehr gut. Lord Westcott, Ladies.« Sir James verbeugte sich zuerst vor Lucy, dann vor Valerie. Als Valerie ihm mit verliebtem Blick ihre Hand hinstreckte, ergriff er sie und drückte einen heißen Kuß auf ihre Finger.
Lucy starrte wortlos auf die Szene, die sich ihr bot.
Alles war auf den Kopf gestellt. Sie war es doch, von der Sir James bezaubert werden sollte. Von ihrem Wissen über sein Werk hatte er doch beeindruckt werden sollen, von ihrem Verständnis für seine Arbeit. Sie hätte er zum Abendessen einladen sollen, so daß sie die Unterhaltung in Ruhe hätte fortsetzen können.
Keinesfalls hatte er sich in ein Mädchen verlieben sollen, das frisch aus dem Schulzimmer kam und nicht einen einzigen originellen Gedanken im Kopf hatte.
»Sind sie nicht ein reizendes Paar?« raunte Ivan ihr zu.
Lucy hätte das rundweg abgestritten, wenn nicht Ivans Atem sie am Ohr gekitzelt und ihr Herz einen weiteren Satz gemacht hätte.
Nein, nein, nein, schalt sie sich. Sie durfte nicht immer-zu auf diese Weise auf Ivan Thornton reagieren. Es war Sir James, für den sie sich interessierte!
Doch wie es schien, zeigte Sir James kein Interesse an einer blaustrümpfigen alten Jungfer. Wie jeder Mann in England war vermutlich auch er mehr an einer rosigen Unschuld mit Vermögen interessiert.
Sie verkniff sich einen undamenhaften Fluch und rückte ein Stück von Ivan ab. Dann ergriff sie Valerie fest am Arm.
»Guten Abend, Sir James«, sagte sie und zog Valerie, ohne ihr Zeit zum Widerspruch zu lassen, förmlich aus dem Saal.
Als sie auf die von Gaslaternen erleuchtete Straße traten, schwieg Valerie gedankenverloren. Ivan hingegen schwieg nicht.
»Was für ein Glück, daß ich heute abend auf Sie zwei hübsche Damen getroffen bin.«
»Auf uns getroffen?« gab Lucy zurück. Obwohl ihr klar war, daß er nicht der Grund für ihren Ärger und ihre Enttäuschung war, bot er doch ein wundervolles Ziel dafür. Außerdem war er ihnen gefolgt. Nein, mir ist er gefolgt, verbesserte sie sich und fühlte einen Schauder den Rücken hinablaufen. Doch sie verdrängte dieses Gefühl. Sie war
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