Spiel der Teufel
immer nur nach vorn geschaut habe. Ihr werdet alle Kontakt
zu euern Lieben haben, ihr werdet sie nicht vergessen, so wenig,
wie sie euch vergessen. Ihr seid doch immer in ihren Herzen.
Ihr werdet euch schreiben, telefonieren oder übers Internet
kommunizieren. Es ist alles so herrlich und einfach. Habt
ihr Fragen?«
Alle hatten aufmerksam zugehört bis auf die Zwillinge Pjotr
und Sascha, die in Julias Armen eingeschlafen waren. Keiner
stellte mehr eine Frage, jeder hatte begriffen, dass er oder sie
die richtige Entscheidung für das künftige Leben getroffen hatte.
Und die Petrowa war nett. Und gläubig.
»Gut. Ich hoffe, ich konnte euch wenigstens ein bisschen die
Angst nehmen. Alexandra, wenn ich Sie bitten darf, mit mir zu
kommen. Wir gehen wieder zu Dr. Frank, der Sie gestern schon
behandelt hat. Es wird auch nicht allzu lange dauern.«
»Ich bin doch schon in St. Petersburg untersucht worden«, bemerkte
Alexandra auf dem Weg nach draußen leise.
»Es ist wirklich nur eine Kleinigkeit.«
Sie betraten das Sprechzimmer, in dem sich der Arzt und eine
freundliche junge Schwester aufhielten. Dr. Frank reichte Alexandra
die Hand und sagte: »Wenn Sie bitte den Oberkörper
freimachen würden, ich muss Sie abhören. Den BH können Sie
anbehalten.«
Alexandra sah Petrowa an und flüsterte auf Russisch: »Ich habe
keinen BH um.«
»Meinen Sie, Dr. Frank hat nicht schon mehr nackte Busen gesehen?
«, erwiderte Petrowa lächelnd. »Keine Scheu, er beißt
nicht und macht auch sonst nichts Ungehöriges. Frau König
und ich sind ja auch noch hier.«
Alexandra zog den Pullover aus, unter dem sie nackt war. Dr.
Frank hielt das Stethoskop an ihre Brust und sagte, sie solle ein
paarmal tief ein- und wieder ausatmen und sich anschließend
auf die Liege legen.
»Auf den Bauch, bitte.«
Alexandra drehte sich um, die Arme angelegt. Sie spürte Dr.
Franks Hände, wie er ihre Wirbelsäule abtastete.
»Bitte den Kopf ganz locker lassen«, sagte er.
»Was?«, fragte Alexandra, die das Wort locker noch nie gehört
hatte.
Petrowa übersetzte es ihr. Alexandra schloss die Augen. Ihr
Kopf wurde ein paarmal hin und her bewegt. Mit einem Mal war
da ein leichtes Pieksen, ein Stich in den Hals, und sie spürte, wie
etwas in sie hineingespritzt wurde. Sie wollte schreien, doch es
dauerte nur wenige Sekunden, bis sie das Bewusstsein verlor.
Zwei Männer kamen aus dem Nebenzimmer, legten Alexandra
auf eine Bahre und schoben sie in einen kleinen Raum, wo sie
zugedeckt wurde, obwohl die Heizung an war. Alexandra atmete
ruhig und gleichmäßig, ihr Blutdruck betrug 110/70.
Petrowa ließ Kolja, einen großgewachsenen schlaksigen jungen
Mann von einundzwanzig Jahren holen, der nach kaum fünf
Minuten ebenfalls in einen anderen Raum gefahren wurde.
So erging es auch allen andern. Als Letzte kamen die Zwillinge
an die Reihe, die einfach nur die Spritze bekamen.
Petrowa ging nach draußen und in ihr Büro und überflog noch
einmal den Terminkalender, obwohl sie die Daten der Operationen
auswendig kannte. Ganz fett markiert hatte sie sich
Freitag, zwanzig Uhr, bis Sonntag, dreizehn Uhr. Wie schon
einige Male zuvor würden sie sich auch diesmal im besten
Hotel der Stadt treffen. Er hatte eine ganze Etage reserviert,
um vollkommen ungestört zu sein. Seine drei Bodyguards
würden genauestens darauf achten, wer sonst noch im Hotel
wohnte und dass niemand die sogenannte No-go-Area betrat.
Sie las die Termine und dachte: Alexandra ist als Erste morgen
früh um neun Uhr dran - Leber und Pankreas. Alle Parameter
stimmen mit der Empfängerin überein, einer Mittvierzigerin
aus Moskau, die von den dortigen Ärzten längst aufgegeben
worden war. Aber durch die Operation hier würde sie schon
bald ein recht normales Leben führen können. So ist das Leben,
so ist der Tod.
Petrowa steckte den Terminplaner in ihre Tasche, stellte sich
ans Fenster und sah hinaus auf den ausgedehnten Park, wo sich
nur wenige Patienten aufhielten, zu kühl und launisch war das
Wetter heute. Die meisten von ihnen waren ohnehin nur wegen
ihrer Schönheit hier, obwohl viele hinterher nicht schöner aussahen,
es sich nur einredeten. Narren, dachte sie.
Es war fast halb sechs, als sie ihre Tasche nahm, sich noch einmal
umsah und nickte. Es wurde höchste Zeit, nach Hause zu
fahren. Sie hatte ihre Pflicht getan, für alles Weitere war sie
nicht mehr zuständig.
Unterwegs tippte sie eine Kurzwahlnummer in ihr Handy,
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