Spiel der Teufel
den
ganzen Tag über Zeit, uns Gedanken zu machen, und sind zu
dem Schluss gelangt, dass du uns wesentliche Informationen
vorenthältst. Hab ich recht?«
Ivana sah Santos an und nickte. »Ja, aber das ist nur zu eurem
eigenen Schutz. Ich möchte nicht für noch einen oder gar zwei
weitere Morde verantwortlich sein, es reicht mir schon, dass
ich Gerd verloren habe. Ich würde euch gerne mehr geben,
kann es aber nicht. Jetzt noch nicht.«
»Und wann?«
»Morgen werdet ihr alles erfahren, was ich weiß. Auf dem Stick
findet ihr eine Menge Informationen. Ich fürchte nur, ihr werdet
nicht viel damit anfangen können. Ich gebe sie euch trotzdem,
denn dann wisst ihr, wie gefährlich die Firma wirklich ist
und welche unglaubliche Macht sie besitzt. Etwas gegen sie zu
unternehmen ist unmöglich.«
»Du hast sie uns doch gestern schon sehr plastisch beschrieben
...«
»Das glaubst du nur.« Sie lachte kurz und trocken auf und
schüttelte den Kopf. »Was ihr gestern gehört habt, ist nur ein
Bruchteil von dem, was wirklich vor sich geht. Die Unmenschlichkeit
des Systems kann ich mit Worten gar nicht beschreiben,
weil es für vieles, was sie tun, keine Worte gibt. Aber das
habe ich auch erst begriffen, als ich Teil der Firma wurde.«
»Versuch's doch wenigstens«, meinte Santos.
»Es hat keinen Sinn und ist im Moment auch gar nicht relevant.
Für mich und auch für euch ist es vorrangig, herauszufinden,
wer Gerd auf dem Gewissen hat. Habt ihr schon einen Anhaltspunkt?
«
»Du weichst andauernd aus. Was ist es, was wir nicht wissen
dürfen?«, hakte Santos unbeirrt nach.
Ivana überlegte, ihre Mundwinkel zuckten, und sie antwortete:
»Habt noch ein klein wenig Geduld, bald werdet ihr schlauer
sein.«
»Wovor hast du Angst?«, fragte Henning.
»Davor, dass ihr einen Fehler macht. Um mich mach ich mir
keine Sorgen. Die sind cleverer und gerissener und wesentlich
mächtiger, als ihr euch vorstellen könnt. Das ist es, was ich
Gerd immer klarzumachen versucht habe, aber er wollte nicht
auf mich hören. Er war zu ungeduldig und zu selbstsicher. Das
war sein Todesurteil, denn niemand legt sich ungestraft mit der
Firma an.«
»Und warum ziehst du nicht einen Schlussstrich, indem du
aussteigst und irgendwohin verschwindest, wo dich niemand
finden kann?«
»Das ist nicht so leicht. Nur ganz wenigen gelingt der Ausstieg.
Für alle Übrigen gibt es zwei Möglichkeiten, die Firma zu verlassen.
Man geht und wird liquidiert, oder man wird gefeuert,
was nichts anderes bedeutet, als dass man ebenfalls getötet
wird. Schon meine Treffen mit euch sind mit einem enormen
Risiko verbunden.«
Henning wiegte den Kopf hin und her und sagte zweifelnd: »Und
das, obwohl du nur eine kleine Buchhalterin bist? Die können
doch nicht jeden permanent überwachen, da gibt es doch Abstufungen
in der Hierarchie, oder täusche ich mich da?«
»Natürlich gibt es Abstufungen. Es ist wie ein großer Konzern,
Aufsichtsrat, Vorstand, Manager, Buchhalter, Sekretärinnen,
Boten ... Und trotzdem funktioniert die Überwachung
perfekt. Es ist ein perfekt funktionierendes System.«
»Aber kein System ist fehlerfrei«, warf Henning ein.
»Sicher, und es gibt auch Wege, sie zu überlisten. Einen habe
ich bereits entdeckt, sonst hätten wir uns nie kennengelernt.
So, und jetzt zu euch - was habt ihr heute herausgefunden?«
»Nichts. Wir haben mit etlichen Leuten gesprochen, aber auch
nur einem etwas anzuhängen würde uns nicht einfallen. Doch
vielleicht haben wir auch noch nicht die Richtigen erwischt.«
Ivana schürzte die Lippen, trank von ihrem Bier und steckte
sich eine Zigarette an. Sie blies den Rauch zum Fenster hin,
schlug die Beine übereinander und sagte: »Ich bin fast sicher,
dass ihr schon einem begegnet seid, der auf unserer Lohnliste
steht. Das Problem ist nur, wie erkennt man einen korrupten
Polizisten, Staatsanwalt, Zollbeamten, Politiker? Keiner von
denen wird sich als solcher outen. Wie erkennt man überhaupt
einen Verbrecher? Trägt er ein Zeichen auf der Stirn? Hat er ein
besonders fieses Gesicht? Oder spricht er besonders ordinär?
Oder ist es seine Kleidung? Woran erkennt man einen Verbrecher?
Nur weil jemand Russisch spricht, bedeutet das nicht
automatisch, dass er ein Verbrecher ist. Die große Mehrheit
meiner Landsleute sind aufrichtige Menschen.«
»Dass sie sich äußerlich nicht von andern Menschen unterscheiden,
ist mir auch klar«, erwiderte Henning, der schon wie
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