Spiel des Lebens 1
Spieler? Es musste jemand gewesen sein, der sie kannte. Und hatte sie Ryan nicht immer mehr von sich erzählt? Hatte sie es nicht fast darauf angelegt, dass er immer mehr über sie erfuhr, indem sie ihm Sonntagnacht nach ihrem Albtraum alles erzählt hatte und in den nächsten Nächten nicht nur bei ihm, sondern auch mit ihm geschlafen hatte? Den sie nicht nur mochte, sondern sich auch in ihn verliebt hatte? Und warum kannte er ihren Geburtstag? Hatte er den tatsächlich von Julia erfahren? Oder hatte das alles einen ganz anderen Grund, einen Grund, den sie gar nicht wissen wollte.
Sie war so verzweifelt, so voller unendlicher Trauer, dass sie nicht einmal mehr weinen konnte, sondern alles in ihr nur eine Steinwüste enttäuschter Hoffnungen war, eine graue Steppe nach einer Atomexplosion, die alle Hoffnung, alle Freude und alles Vertrauen hinweggefegt hatte.
Sie sah immer noch Ryan in die Augen, der zwischen den beiden Leibwächtern und einem Polizisten stand. Carter hatte gerade im Funkgerät seines Einsatzwagens mit dem Revier gesprochen und stieg nun wieder aus dem Auto.
»Es passt alles zusammen«, sagte Carter, während er eine Zigarette zwischen den Fingern balancierte. Detective Bloom stand mit ihrem strammen Dutt und ihrer Eulenbrille neben ihm wie eine Steinsäule und blickte Emily halb mitleidig, halb besorgt an; fast so wie ihre Mutter sonst immer. »Abgesehen davon, dass er vorbestraft ist.«
Sie sah in Ryans Augen, und sie sah Schmerz, Unverständnis, aber auch ein wenig Trotz.
»Ryan«, sagte sie. »Warst du das? Sei ehrlich zu mir!«
Er wollte einen Schritt auf Emily zugehen, aber der Polizist hielt ihn zurück. Gleichzeitig stellten sich Matt und Jim vor Emily.
»Emily, ich war es nicht«, sagte er, und seine Stimme zitterte leicht. »Warum sollte ich so etwas tun?«
»Ja, warum sollten Sie?«, sagte Carter. »Das fragen wir uns auch! Aber wir haben genug Zeit, dass Sie uns das in aller Ausführlichkeit erklären!«
»Emily«, sagte Ryan, und seine Stimme wurde lauter. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich das war? Das glaubst du doch nicht?« Er wollte wieder einen Schritt auf sie zugehen, doch der Constable hielt ihn fest im Klammergriff.
»Es geht nicht darum, was Ms Waters glaubt«, entgegnete Carter, während Bloom bedächtig nickte, »es geht darum, was die Fakten sagen. Und die Fakten sagen, dass Sie vor der Explosion als Einziger auf der Dachterrasse gesehen wurden und dass das Handy, mit dem Ms Waters angerufen wurde, in Ihrem Zimmer lag. Und dass Sie es dabei hatten, als Sie ganz hektisch das Wohnheim verlassen haben. Der GPS -Tracker hat Sie verraten.«
»Aber ich habe sie nicht angerufen«, schrie Ryan, »ich weiß nicht, wer es gewesen ist. Ich war es nicht.«
»Ja.« Carter nickte. »Das sagen sie alle.« Er machte eine kurze Kopfbewegung. »Schluss jetzt mit der Vorstellung.« Er nickte Emily zu. »Ms Waters, wir setzen uns nachher noch mit Ihnen in Verbindung.« Er klopfte Ryan auf die Schulter. »Kommen Sie.«
Ryan war derjenige, der in den letzten Tagen alles über sie erfahren hatte. Und dieses Wissen hatte er genutzt, um sie mehr und mehr zu quälen. Warum er aber noch zum Mörder geworden war, davon hatte sie keine Ahnung.
»Emily!«, rief Ryan. »Bitte! Ich war es nicht! Bitte tu irgendetwas! Lass nicht zu, dass sie mich abführen! Ich war immer für dich da!«
Immer für mich da?, sagte eine Stimme in Emilys Kopf. In der U-Bahn? In der Bibliothek? Bei St. Paul’s? Im Heizungskeller? Als der Sprengsatz hochging? Wo warst du da? Wann warst du für mich da?
Sie beförderten Ryan unsanft ins Auto zurück, und er steckte noch einmal seinen Kopf zur Tür hinaus.
»Emily! Du glaubst mir doch?«
Sie schaute ihn an, schaute in die warmen braunen Augen, und jetzt kamen die Tränen.
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll.«
Ryan sah aus, als ob er noch irgendetwas sagen wollte. Aber dann senkte er den Kopf und stieg einfach so ins Auto ein. Ohne sich zu wehren, ohne Widerstand zu leisten. Und da wusste Emily, dass die Beamten recht hatten.
Die Türen knallten zu, und der Einsatzwagen nahm langsam Fahrt auf und brauste die Straße entlang. Sie schaute ihm noch lange nach, stand mit Carter, Bloom und den beiden Bodyguards inmitten der Studenten und der Feuerwehrleute auf dem Bürgersteig vor dem College. Sie hörte die Motoren, auch den des Polizeiwagens mit Ryan, der allmählich leiser wurde, hörte das Gebrüll der Feuerwehrleute und der Polizisten, und sah
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