Spiel des Lebens 1
Sicher und müde. Gesprächsfetzen zogen an ihr vorbei.
Mein Sohn soll unbedingt Mandarin lernen. Und in China studieren. Da ist die Zukunft.
Ich weiß nicht. Die Chinesen werden noch ordentlich auf die Schnauze fallen. So wird das nicht ewig weitergehen, warte mal ab.
Hast du die im Ministry of Sound gesehen?
Die sah doch total alt aus.
Nee, die sah gut aus. Ein bisschen wie Toms Schwester.
Du meinst wohl Toms Mutter.
Macht ihr noch Urlaub vor Weihnachten?
Weihnachten, o Gott, das ist ja auch bald schon wieder.
Sie merkte, wie ihr allmählich die Augen zufielen. Die Gespräche der anderen Fahrgäste vermischten sich zu einem seltsamen Flickenteppich aus Geräuschen, während das Rumpeln des Wagens und die Kurven, die die Bahn durch die unterirdische Dunkelheit führten, sie in einen sanften Schlaf wiegten. Hier und da blitzte einer der Gesprächsfetzen auf, um gleich danach wieder zu verschwinden.
Weihnachten, Chinesen, Urlaub, die Zukunft.
Hoffentlich würde sie Notting Hill Gate nicht verpassen, dachte sie noch, und ging im Halbschlaf die Stationen durch.
Ach, dachte sie, das sind doch noch so viele Stationen. South Kensington, Gloucester Road, High Street Kensington. So viele Stationen. So viele Stationen.
Und dann war sie eingeschlafen.
42
S ie spürte einen Stoß, als hätte ein riesiger Hammer den Waggon getroffen. Dann das Kreischen der Bremsen. Von einem Augenblick zum anderen war sie hellwach, sah, wie die Neonlampen hinter den Gittern an der Tunnelwand, die eben noch schnell vorbeigerast waren, dramatisch langsamer wurden, sah die erstaunten Gesichter der anderen Passagiere, von denen einige, die standen, sich in letzter Minute an den Stangen festhielten, um nicht durch den ganzen Waggon geworfen zu werden. Taschen stürzten und irgendwo fielen Flaschen mit lautem Klirren zu Boden. Menschen schrien durcheinander.
Die Bremsen kreischten weiter, bis der Zug schließlich irgendwo in einem Tunnel ruckartig zum Stehen kam.
Emily blinzelte auf die Leuchtanzeige.
South Kensington.
Vier Stationen von Westminster. War sie noch nicht ganz wach oder warum sah sie alles in einem flackernden Licht?
Doch dann wurde ihr klar, dass es das Licht selbst war, das flackerte.
Die rote Anzeige mit der Aufschrift »South Kensington« blitzte noch ein paarmal auf, wie die Reste eines Feuers, bevor es verlöscht.
Dann flackerte auch die Neonbeleuchtung an der Decke des Zuges.
Und ging aus.
Und schließlich stand Emily mit dem Zugwaggon mitten in dem Tunnel in der Dunkelheit.
43
Sein Gesicht war gebadet in das Licht des Monitors, das seinen Siegelring reflektierte.
Was für ein Chaos man doch mit ein paar kleinen Computertricks im öffentlichen Nahverkehr anrichten konnte! Und die kleine Emily mittendrin. Dann noch einen Mobile-Jammer auf dem Dach der Waggons platziert und keiner konnte telefonieren.
London Underground und das Internet.
Das passierte halt, wenn man alles auf Teufel komm raus vernetzen musste, sodass jeder mit einer Internetverbindung und genügend Know-how das System stören konnte, wenn er wollte.
Und Emily würde genau dann zu Hause sein, wann sie sollte. Und keine Minute früher.
Zu Hause. Dort, wo alles seinen Anfang genommen hatte, der größte Triumph und die größte Tragödie, für ihn, aber am Ende auch für sie. Zurück an den Ort, wo es begann. Am Ende waren die Menschen doch wie Tiere. Sie kommen immer wieder. Und jeder Hund kehrte immer wieder zu seiner Kotze zurück. So waren die Tiere, und so waren die Menschen.
Er dachte an Jack Barnville und Mary Lawrence, an dem Tag, als sie alle vor der Kuppelvilla in Notting Hill gestanden hatten. Jack und Mary, die ihn nie gewollt hatten und die nur eines im Sinn hatten: Irgendwie mit ihm Geld zu verdienen. Und das war ihnen gelungen. Pech nur, dass er sie mit ihren eigenen Waffen geschlagen hatte. Und dass er jetzt selbst mehr Geld hatte als beide zusammen.
Verrückte Welt: Man braucht eine Genehmigung, um einen Hund zu halten, aber verdammte Kinder durfte jeder ohne Genehmigung einfach so großziehen. Und damit ein ganzes Leben zerstören. Oder gleich mehrere. Denn wer ein Leben zerstört, der zerstört eine ganze Welt.
Sie hatten dafür bezahlt. Jack hatte bezahlt, und Mary würde er auch noch finden. Sie konnte noch so weit fliehen, nach Dubai oder sonst wohin, er würde sie finden, und er würde sie töten. Er hatte jetzt halt nur keine Zeit. Jetzt waren erst einmal andere Dinge wichtig.
Er schaute auf die Uhr.
Noch
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