Spiel des Schicksals
beachtlicher orientalischer Teppich, der den Fußboden fast ganz bedeckte. Auf einem sehr alten Fernseher standen eine Vase mit Trockenblumen und das Konterfei von Präsident Anwar As Sadat. Eine Couch war völlig mit Büchern überladen, und ein in der Nähe stehender Schreibtisch war ebenfalls mit Büchern, Papieren und Umschlägen bedeckt. Alle Fensterläden waren zugezogen, so daß ich keine Ahnung hatte, wie spät es sein mochte. Als Achmed Raschid, sich die Hände an einem Handtuch abtrocknend, aus einem angrenzenden Zimmer auftauchte, mußte ich ihn wohl sehr ungläubig angestarrt haben, denn er lachte und mußte sich mehrmals wiederholen, bevor ich ihn verstand. »Warum sind Sie so überrascht, Miss Harris? Sie wußten doch, daß Sie hierher kämen.«
Ich wich vor ihm zurück, verzog das Gesicht und runzelte die Stirn, während ich angestrengt versuchte, mich zu entsinnen. Doch meine letzte Erinnerung war, daß ich John Treadwell auf dem Fußboden liegend gefunden hatte. Danach war alles wie weggeblasen. »Sie haben das Hotel mit mir verlassen, und wir fuhren zusammen in einem Taxi. Erinnern Sie sich nicht daran?«
»Nein…« Meine Ratlosigkeit wurde immer größer. »Arme Miss Harris! Ich befürchtete, Sie würden sich nicht erinnern. Bitte setzen Sie sich. Ich werde Ihnen alles erklären.« Er machte eilig einen Platz auf der Couch für mich frei, half mir, mich zu setzen, und verließ dann für einen Augenblick das Zimmer. Gleich darauf kam er mit einem Tablett mit Tee und Keksen zurück. Er drückte mir eine Tasse und eine Untertasse in die Hand, setzte sich dann neben mich und fuhr fort: »Ich war gerade unterwegs, um Sie zu besuchen, als ich Sie in Mr. Treadwells Zimmer auf dem Fußboden fand. Es gelang mir, Sie wachzurütteln und aus dem Hotel zu begleiten. Ich kenne den Geschäftsführer recht gut und erklärte ihm, Sie seien eine Bekannte von mir und fühlten sich nicht gut. So habe ich Sie in einem Taxi hierher zu mir nach Hause gebracht. Erinnern Sie sich jetzt?«
Ich starrte einen Moment lang auf meinen Tee, bevor ich den Kopf schüttelte. Das Hämmern im Kopf klang allmählich ab, und mir fiel ein, daß ich wohl fürchterlich aussehen mußte. Zahllose Erinnerungsbilder gingen mir durch den Kopf, doch nur wenige ergaben irgendeinen Sinn. Eine dunkle Erinnerung an helle Lichter. Blitzende Lichter. Und Menschen. Viele Menschen. Nein, ich konnte mir keinen Reim darauf machen und schüttelte abermals den Kopf. »Vielleicht ist es ganz gut so«, meinte er ruhig. »Bitte trinken Sie den Tee. Er wird Ihnen guttun.«
Ich nippte brav daran und wünschte, daß es Bourbon wäre, während ich den Mann über den Rand meiner Tasse hinweg beobachtete. Ich muß wie eine fluchtbereite Katze ausgesehen haben, denn er sagte: »Bitte seien Sie ganz unbesorgt. Hier sind Sie sicher.« Ich wollte entgegnen: »Wovor?«, aber statt dessen fragte ich: »Wie geht es John? Ist er in Ordnung?«
Mr. Raschid wandte die Augen ab. »Es passierte alles sehr schnell. Ich kam an der offenen Tür vorüber, sah Sie dort liegen… eine sehr peinliche Situation, Sie verstehen… Wäre ich im Shepheard’s Hotel nicht so gut bekannt…«
Ich stellte meine Tasse klappernd auf die Untertasse zurück, als ob ich die Wiederkehr meiner Stärke verkünden wollte. »Wenn Sie nichts dagegen haben, hätte ich gerne ein paar Erklärungen, Mr. Raschid. Wie zum Beispiel, wer Sie eigentlich sind und warum Sie mir gefolgt sind.«
Es senkte sich ein Schweigen herab, das schwer auf dem Raum zu lasten schien. Von allen vier Wänden schien das Echo meines Herzschlags widerzuhallen. Die Lage, in die ich nun plötzlich geraten war, gefiel mir überhaupt nicht. Ich war die Gefangene dieses Mannes. Und niemand wußte, wo ich war. »Ich bin Ihnen natürlich eine Erklärung schuldig, Miss Harris, und ich möchte auch gleich für alle Unannehmlichkeiten um Verzeihung bitten, die ich Ihnen vielleicht verursacht habe. Aber sehen Sie, eigentlich folgte ich nicht Ihnen, sondern Mr. Treadwell.« Ich blickte ihn verständnislos an. »Sie folgten John?«
»Ich wartete auf ihn, als er am Flughafen Leonardo da Vinci ankam, und folgte Ihnen beiden zum Hotel Palazzo Residenziale.« Mr. Raschid schaute einen Augenblick lang auf seine Fingernägel. Ich spürte, daß er sich seine nächsten Worte überlegte: Was er mir sagen und was er zurückhalten sollte.
»Und außerdem«, plapperte ich weiter, »wer sind Sie eigentlich, daß Sie Leuten auf Schritt und Tritt
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