Spiel des Schicksals
möchte jetzt endlich, daß Sie mir sagen, worum es hier eigentlich geht. Warum sollte mich jemand umbringen wollen?«
»Es geht vielleicht nicht darum, Sie umzubringen, Miss Harris. Wahrscheinlich wollen sie Sie als Geisel festhalten, um an Ihre Schwester heranzukommen. Das ist nur eine Theorie von mir.«
»Und warum«, fragte ich matt, »warum suchen sie meine Schwester?«
»Entschuldigen Sie mich.« Er erhob sich. »Ich denke, der Tee ist fertig.«
Als er den Raum verließ, ging ich wieder zum Fenster und versuchte, indem ich die Läden einen Spalt breit öffnete, auf die stark belebte Straße hinunterzusehen. Autos fuhren sehr wenige vorüber, denn die Masse der Fußgänger war dicht und nahezu undurchdringlich. Es waren vorwiegend Orientalen – die Hälfte davon in westlicher Kleidung, einige in den langen Gewändern oder galabias, andere mit Turbanen und Kopftüchern, manche Frauen verschleiert, andere ganz ähnlich gekleidet wie ich selbst. Die meisten schienen irgendwo hin zu eilen, wichen dabei geschickt den Eselskarren aus oder spazierten Arm in Arm gegen den Strom. Kein einziger unter ihnen schien sich um dieses Haus hier zu kümmern.
»Ich kann Ihnen versichern, kein Mensch weiß, wo Sie sind.« Ich wandte mich zu Achmed Raschid um. Er trug ein Tablett, das mit Teekanne, Teetassen und einem Berg von Gebäckstücken beladen war. Während er es auf dem niedrigen Tisch vor der Couch abstellte, fuhr er fort: »Als ich Sie gestern nachmittag aus dem Shepheard’s Hotel herausbrachte, sah ich mich sehr sorgfältig in der Empfangshalle um. Keiner der Männer, die meines Wissens für Rossiter arbeiten, war zu sehen. Außerdem wären sie ja verrückt gewesen, in der Nähe des Ortes zu bleiben, wo sie gerade einen Mord begangen hatten.« Ich seufzte und setzte mich wieder auf die Couch. Er reichte mir eine Tasse Tee und schob den Gebäckteller zu mir hin. »Es gibt niemanden, der diese Wohnung beobachtet, Miss Harris. Ich habe mich dessen selbst versichert, bevor ich Sie allein ließ.«
Ich konnte nicht widerstehen, eines der Kuchenstücke zu nehmen, und fand, daß es ungewöhnlich süß war, wie der Tee, denn auf dem Boden der Tasse konnte ich eine dicke Schicht Zucker erkennen. Diese orientalischen Süßigkeiten waren voll mit Eiercreme, Zuckerguß und süßem Gelee.
»Sie müssen etwas essen«, meinte er und drängte mir bald ein zweites Stück auf.
Als ich in dieses hineinbiß, wunderte ich mich, warum die Ägypter nicht alle dick waren.
»Ich habe einen Freund, der im Shepheard’s Hotel arbeitet. Ich habe ihn wissen lassen, daß ich nach Ihrer Schwester suche. Er wird die Augen offenhalten und mich benachrichtigen, falls sie im Hotel auftaucht. Des weiteren habe ich von den Zollbeamten am Flughafen erfahren, daß Ihre Schwester das Land nicht verlassen hat.« Als ich etwas entgegnen wollte, hob er die Hand und fuhr fort: »Das muß jedoch nicht heißen, daß sie tatsächlich noch im Land ist. Ich erwarte noch Nachricht aus Alexandria und Luxor. Es ist auch nicht schwer, unbeobachtet in den Sudan zu gelangen.«
»Sudan! Warum sollte sie dorthin fahren wollen?« Er spreizte seine Finger. »In diesem Punkt, Miss Harris, ist meine Kenntnis ebenso beschränkt wie die Ihre.«
»Und wann werden Sie mir endlich den Rest erzählen?«
»Bald, das versichere ich Ihnen.«
›Ich versichere Ihnen‹ schienen seine Lieblingsworte zu sein, doch er flößte mir damit nicht die geringste Zuversicht ein. Als er den Teller zum drittenmal näher an mich heranschob, lehnte ich dankend ab und setzte mich mit meiner Teetasse auf dem Schoß zurück. Nun trat zwischen uns Schweigen ein, und ich gab mir alle Mühe, seinem Blick auszuweichen. Es war kein unverschämter Blick; es drückte sich eher Neugierde und Interesse darin aus. Es kam mir fast so vor, als fände er mich ungewöhnlich.
Das war lächerlich, wenn man bedachte, was für eine kuriose Erscheinung er selber war. Obgleich sein Äußeres fremdartig auf mich wirkte – mit seiner dunklen, kakaobraunen Haut, seinen buschigen Wimpern und seiner starken Nase – , war es eigentlich seine Art und Weise, zu sprechen, die mich am meisten faszinierte. Seine Stimme hatte einen weichen, näselnden Klang mit gelegentlichen stimmbruchähnlichen Ausrutschern. Er sprach überaus bedächtig und langsam, als wollte er sichergehen, daß ich ihn auch ganz gewiß verstünde –, und in ausgezeichnetem Englisch.
»Ich gehe jetzt weg«, verkündete er plötzlich, als besänne er
Weitere Kostenlose Bücher