Spiel des Schicksals
»Asmahan«, stellte sie sich vor, »ich bin Asmahan.«
Ich hob erstaunt die Augenbrauen. »Guten Tag. Sie wissen ja schon, wer ich bin.«
»Aywa.« Dann sprudelte sie wieder auf arabisch los, und ich glaubte ein paarmal, den Namen Achmed herauszuhören. »Achmed?«
»Aywa!« Sie nickte lebhaft.
Obgleich ich noch immer verwirrt war, erkannte ich, daß mir von dieser jungen Frau keine Gefahr drohte. Sie hatte ein offenes, freundliches Gesicht und eine warmherzige Art. Sie lachte auch ganz ungezwungen und erschien nicht verdächtig. Nichtsdestoweniger blieb ich auf der Hut.
Asmahan schwatzte noch ein wenig weiter auf arabisch, so beiläufig, als ginge sie davon aus, daß ich jedes ihrer Worte verstünde. Dann wandte sie sich plötzlich von mir ab und verschwand in die Küche. Einen Augenblick blieb ich wie angewurzelt auf der Stelle stehen, während ich meinen Ellbogen gegen den Schaft aus Elfenbein in meinem Hosenbund preßte. Gleich darauf hörte ich das Klappern von Geschirr und das Rauschen von Wasser, und so beschloß ich, mich zu ihr zu gesellen. Asmahan kochte Tee.
»Guten Morgen, guten Tag, guten Abend«, plapperte sie in einer hohen Stimme. »Ich spreche Englisch. Wie geht es Ihnen?« Sie warf ihr langes, schwarzes Haar zurück und zwinkerte mir über die Schulter hinweg zu. Sie schien auf eine Reaktion von mir zu warten. Ich konnte nur lächeln.
So fuhr sie mit dem Teezubereiten fort, kochte das Wasser, maß die Teeblätter ab und überprüfte die Tassen auf ihre Sauberkeit. Die ganze Zeit über erweckte sie den Eindruck, als sei sie hier ganz und gar zu Hause und in vertrauter Gesellschaft.
Als der Tee fertig war und wir ins Wohnzimmer zurückkehrten, machte meine Besucherin einen weiteren Versuch, sich mir mitzuteilen.
»Ich spreche Englisch«, erklärte sie, als wir uns vor dem Tablett mit Tee und Gebäck auf der Couch niederließen, »so!« Und sie hielt ihren Daumen und Zeigefinger etwa einen Zentimeter auseinander. »Wenig«, fügte sie hinzu.
»Das habe ich mir schon gedacht. Und ich spreche leider überhaupt kein Arabisch.«
Asmahan zuckte die Schultern. »Ma’alesch. Tee bitte, Miis Harris.«
Ich nahm die Tasse von ihr entgegen, sog den süßen Minzeduft ein und trank. Ich hatte bis dahin noch gar nicht bemerkt, daß ich hungrig war. Oder daß es schon später Nachmittag sein mußte. Dann schob sie mir das Gebäck hin. »Miis Hariis, Achmed sprechen zu mir. Sie verstehen?«
»Und er hat Ihnen gesagt, daß Sie herkommen sollen?« Sie runzelte die Stirn.
So wiederholte ich es langsamer, und diesmal verstand sie. »Aywa. Achmed sagen, Miis Hariis hier ist. Wir sind Freunde, Sie verstehen?«
»Ich denke schon.«
Mein Instinkt riet mir zur Vorsicht. In Gegenwart dieser redseligen und lächelnden jungen Frau fiel es einem schwer, Abstand zu wahren. Und außerdem besaß sie einen Schlüssel zur Wohnung, hatte bereits meinen Namen gewußt und nach mir gesucht. Und jetzt behauptete sie auch noch, Achmed habe sie geschickt. Ich war sicher, daß ich mit meiner Schlußfolgerung gar nicht so falsch lag: Daß nämlich Asmahan seine Freundin oder Verlobte war, die er hierher geschickt hatte, entweder um mir Gesellschaft zu leisten oder um ein wachsames Auge auf mich zu haben oder beides. Sehr schlau. »Es ist sehr nett von Ihnen, daß Sie sich so um mich kümmern«, sagte ich und überlegte, wieviel Englisch sie wohl verstand. »Und der Tee schmeckt sehr gut.«
»Aywa.« Während sie trank, fiel ihr langes, schwarzes Haar nach vorn über ihre Schultern und umrahmte ihr hübsches Gesicht, wodurch ihre großen, dunklen Augen noch mehr zur Geltung kamen. Ich konnte leicht erkennen, was Achmed an ihr fand. Dann schwiegen wir. Es war zwar kein verlegenes Schweigen, aber eben doch Schweigen, so daß wir den Tee austranken und das (mir aufgedrängte) Gebäck verzehrten, ohne ein Wort zu sprechen. Hin und wieder schaute sie zu mir hinüber und lächelte, und ich lächelte schwach zurück. Aber das war alles. Und ich stellte fest, daß ich sehnsüchtig auf Achmeds Rückkehr wartete. Wir spülten gemeinsam die Tassen und die Teekanne, wieder schweigend, aber wir verkehrten trotzdem ungezwungen miteinander. Asmahan hatte eine Art, mit ihren Augen und ihrem Lächeln eine freundschaftliche Atmosphäre um sich her zu verbreiten. Während der merkwürdig schweigsamen Stunden, die wir an diesem Nachmittag miteinander verbrachten, mußte ich mir eingestehen, daß ich anfing, sie zu mögen.
Die Schatten
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