Spiel des Schicksals
da unten drängten sich Hunderte von Menschen, und jeder von ihnen konnte Johns Mörder sein.
Ich preßte mein Gesicht gegen den Laden und versuchte, zwischen den Lamellen hindurchzuspähen. Direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite befanden sich Wohnhäuser wie dieses hier – unglaublich alt und grau, einige mit Baikonen, andere mit kompliziert geschnitzten, schmalen Vorbauten, hinter denen sich wahrscheinlich die Harems verbargen; bei den meisten Fenstern waren die Vorhänge zugezogen und die Läden geschlossen. Es schien keine Bedrohung von diesem Viertel auszugehen. Doch wie sollte ich bei der Menschenmenge, die sich durch die verstopfte Straße wälzte, erkennen, wer im einzelnen da unten war? Besonders, ohne daß er mich sah? Ich dachte an den beleibten Mann mit seinen dicken Brillengläsern und begann unwillkürlich zu zittern. Wenn er nun da draußen wartete? Wie sicher war sich Achmed Raschid, daß uns niemand beim Verlassen des Hotels beobachtet hatte und daß keiner wußte, wo ich mich aufhielt? Und je mehr ich an John Treadwell dachte, um so wütender wurde ich. Nicht so sehr wegen dem, was er getan hatte, sondern weil ich selbst so blind und naiv gewesen war. War ich wirklich so leicht zu beeinflussen, und ließ ich mich tatsächlich so bereitwillig benutzen?
Offensichtlich hatte John Treadwell mich so beurteilt. Ich wandte mich jäh von den Fensterläden ab und marschierte durchs Zimmer zur Couch. Und während ich mich darauf plumpsen ließ, geißelte ich mich selbst mit dem Gedanken daran, wie dumm ich gewesen war. Falls Achmed Raschid irgendwelche Pläne hatte, mich ebenfalls zu benutzen, falls er beabsichtigte, mich mit ein wenig Charme und ein paar tröstlichen Worten zu lenken, dann würde ich ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Von nun an war Dr. Kellerman der einzige Mensch auf der Welt, dem ich vertraute, und ich hätte alles darum gegeben, ihn hier bei mir zu haben. Aber er war nicht hier. Er war weit weg in einer anderen Welt.
Ein Geräusch an der Tür ließ mich hochfahren. Ich sprang im selben Augenblick auf, als Mr. Raschid mit einer Zeitung unterm Arm die Wohnung betrat. Als er meinen verwunderten Gesichtsausdruck bemerkte, sagte er: »Oh, Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß Sie schon auf sein würden. Es ist noch früh.«
»Ja, ich weiß. Guten Morgen.«
Er lächelte und erwiderte: »Ich werde für Sie Tee bereiten.« Ich sah ihm nach, als er in ein anderes Zimmer ging, und ich spürte, wie sich mein Körper vor Nervosität verkrampfte. Aus dem Raum, in dem sich wohl die Küche befand, drangen Geräusche zu mir herein – Klappern von Geschirr, Rauschen von fließendem Wasser, ein klirrender Laut von einem zu Boden fallenden Besteckteil. Gleich darauf kam er wieder herein, lächelte mich an und legte seine Jacke ab. Ich blieb einfach stehen und beobachtete ihn, wie er im Zimmer auf und ab ging, unsicher, was ich als nächstes sagen sollte. Schließlich half mir Mr. Raschid aus meiner Verlegenheit, indem er fragte: »Haben Sie gut geschlafen?«
»Ja, in der Tat, das habe ich.«
»Das freut mich. Es war sicher nötig. Bitte, nehmen Sie Platz.« Ich setzte mich auf die Couch und er sich in einen Lehnstuhl mir gegenüber. Er lächelte wieder, als er weitersprach: »Ich war heute morgen bei der Polizei. Ich wollte keine Zeit verlieren. Der Inspektor, der die Ermittlungen im Mordfall Treadwell leitet, ist ein Freund von mir. Wir hatten eine vertrauliche Unterredung. Ich teilte ihm mit, daß Sie wahrscheinlich die Amerikanerin seien, nach der er fahnde, und daß Sie nichts mit dem Mord zu tun hätten, da Sie mit mir zusammenarbeiten. Er hat daraufhin den Aushang mit Ihrer Beschreibung und Paßnummer von den Mitteilungstafeln der Hotels entfernen lassen und die Suche nach Ihnen eingestellt.«
»Oh, Gott sei Dank!« Ich atmete auf.
»Deswegen brauchen Sie sich jetzt keine Sorgen mehr zu machen.«
»Das heißt, ich kann mir ein Zimmer in einem Hotel nehmen. Die Polizei ist nicht mehr hinter mir her.«
»Ja, das stimmt.« Sein Lächeln wurde schwächer, und seine Miene verdüsterte sich ein wenig. »Trotzdem läuft Mr. Treadwells Mörder noch immer frei herum. Er könnte auch jetzt noch nach Ihnen Ausschau halten.«
»Der dicke Mann.«
»Oder dieser Arnold Rossiter. Sie wissen alle, daß Sie das Shepheard’s verlassen haben und irgendwo hingegangen sind. Jetzt werden sie die Hotels überwachen.«
»Mr. Raschid, ich
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