Spiel, Kuss & Sieg
leichtfüßig vor Tamsin her und sprach nur das absolut Notwendigste.
Endlich betraten sie einen lang gestreckten sonnendurchfluteten Büroraum. Die Einrichtung war schlicht und modern gehalten, was im Kontrast zu den anderen Möbeln stand, an denen sie vorbeigekommen waren. Auf der einen Seite war ein großer Zuschneidetisch aufgestellt worden, daneben ein weiterer Schreibtisch, auf dem sich neben modernster Computertechnik auch eine Nähmaschine befand.
„Hier werden Sie arbeiten“, sagte Giselle und warf ihr langes Haar in einer gelangweilten Geste über die Schulter.
Tamsin sah sich um und nickte langsam. Verglichen mit ihrem winzigen Studio in Soho war das eine echte Verbesserung. Dann fiel ihr Blick auf den zweiten Schreibtisch.
„Und dort?“
„Da sitze ich.“ Giselle bedachte Tamsin mit einem Lächeln, das sie an einen Alligator erinnerte. Träge, aber überaus gefährlich.
Anscheinend hatte Alejandro Giselle beauftragt, ein Auge auf sie zu haben und sicherzustellen, dass sie keine Busladung „echter“ Designer ankarrte, sobald er ihr den Rücken zuwandte. „Wo ist Alejandros Büro?“
Giselle deutete auf die Tür hinter ihrem Schreibtisch. „Wenn Sie ihn sehen möchten, brauchen Sie nur zu fragen.“
„Danke“, sagte Tamsin und lächelte spöttisch.
Bevor das passierte, würde die Hölle zufrieren.
„Tja, klingt, als würde mit den Entwürfen alles glattlaufen, aber wie geht’s Ihnen denn sonst? Man hört ja so Einiges über D’Arienzos Anwesen.“
Tamsin ließ den Blick über den üppigen Garten schweifen. Dahinter erstreckten sich weitläufige grüne Wiesen. Sie telefonierte mit Steve Philips, dem Produktionsmanager der Firma, die sie für die Herstellung der englischen Trikots ausgewählt hatte. In den vergangenen Monaten hatten sie einander ganz gut kennengelernt – allerdings nicht gut genug, um die Frage ehrlich zu beantworten.
„Es ist sehr schön hier“, erwiderte sie tapfer. „Das Wetter ist fantastisch. Die letzten Tage habe ich mit dem Laptop im Garten unter einem alten Baum gearbeitet.“
Am anderen Ende der Leitung gab Steve ein neidvolles Stöhnen von sich.
Wenn er wüsste, dachte Tamsin, nachdem sie sich verabschiedet und aufgelegt hatte. Doch selbst im Paradies konnte man sich einsam fühlen, wenn die anderen Anwesenden einen abgrundtief hassten.
Es bedeutete zumindest eine kleine Erleichterung, dass sie Alejandro seit drei Tagen nicht wiedergesehen hatte. Dafür durfte sie sich mit einer sauertöpfischen Giselle herumplagen.
Schon am ersten Tag war der Schönheit nur ein widerwilliges Guten Morgen über die Lippen gekommen. Mit ihrer Feindseligkeit konnte Tamsin umgehen. Doch was für sie das Fass zum Überlaufen gebracht hatte, war die plötzliche Wärme und Freundlichkeit, die Giselle verkörpern konnte, wenn sie am Telefon mit Alejandro sprach. Wieder und wieder mitansehen zu müssen, wie Giselle sich auf ihrem Stuhl zurücklehnte, mit einer Haarsträhne zu spielen begann und in verführerischem Tonfall in den Hörer flötete, war zu viel für Tamsin gewesen. Hier, so wurde ihr klar, würde sie die Designs niemals fertigstellen können – vor allem deshalb nicht, weil sie Giselles Gehabe nicht länger ertragen konnte.
Deshalb war sie nach draußen geflüchtet und hatte diesen wundervollen Platz unter dem alten Baum gefunden, den sie zu einem provisorischen Büro ausgebaut hatte. Die vier Entwürfe, mit denen sie im Flugzeug begonnen hatte, waren nahezu vollendet.
Doch obwohl ihr die Arbeit flüssig von der Hand ging, fühlte sie sich unwohl. Es war dasselbe Gefühl wie damals, nach dem Unfall. Eine Zeit lang hatte sie immerzu Angst gehabt, sich noch einmal wehzutun und jede Situation vermieden, die ihr potenziell gefährlich zu sein schien. Dasselbe empfand sie hier. Nur versuchte sie jetzt, nicht ihren Ellenbogen zu beschützen, sondern ihr Herz.
Plötzlich vernahm sie ein Geräusch, bei dem sich die Härchen in ihrem Nacken aufrichteten. Einen Moment glaubte sie, sich alles nur eingebildet zu haben, weil sie an ihren Unfall gedacht hatte. Doch das unverwechselbare Hufgeklapper eines galoppierenden Pferdes kam näher und näher. Panisch sprang sie auf und flüchtete auf die andere Seite des Baumes, um sich in Sicherheit zu bringen.
Das Pferd tauchte hinter einer Hecke auf, die vielleicht zwanzig Meter entfernt lag. Erleichtert bemerkte sie den Reiter auf seinem Rücken. Jemand war in der Lage, das Pferd anzuhalten, bevor es sie verletzen
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