Spiel mir das Lied vom Glück
sich vor und zurück, die
Arme um sich geschlungen. »Wenn Robert noch nicht hier in Golden ist, dann ist er bald da. Sehr bald. Vielleicht schon morgen. Ich spüre seinen Hass, seine Besessenheit, ich fühle seine Rachegelüste. Er ist durchgedreht, komplett. Sein Zorn ist außer Kontrolle. Du bist in Gefahr!«
Ich nickte. Nachdem Caroline sich wie eine Katze zusammengerollt und ich ein bisschen Pot geraucht hatte, schleppte ich mich zur Toilette und hielt den Kopf über die Schüssel. Es kam alles heraus, was ich an dem Tag und scheinbar in den letzten sechs Jahren gegessen hatte. Eine Toilettenschüssel kann kühl und tröstlich sein, aber eigentlich hänge ich nicht so gerne darüber, auch wenn ich schon oft so dagehockt habe. Zweimal musste ich mich übergeben, weil Robert mich gezwungen hatte, mehr zu trinken, als ich wollte.
Es war gruselig, dass er mich gezwungen hatte, aber noch gruseliger, dass ich gehorcht hatte.
»Ich fahre nicht weg.« Die Worte waren heraus, bevor ich sie überhaupt gedacht hatte.
Tante Lydias Finger hielten über den Trockenblumen inne. »O doch, junge Dame!«, rief sie. Es war das erste Mal, das sie mich so anfuhr.
»Oh! Oh! Du musst fahren!«, stöhnte Katie.
Caroline ließ den Joint fallen. Ich hob ihn auf. Niemand sonst hatte es bemerkt.
»Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?«, fragte Caroline. Ihr rechtes Auge zuckte. »Er kommt hierher! Er will dich umbringen!«
Tante Lydia nickte. »Dieser Kranz soll dich schützen, wenn du Golden verlässt, meine Liebe. Wenn du fährst! Er soll dich so lange schützen, bis wir dich wiedersehen, bis wir Robert losgeworden sind.«
»Ich fahre nicht.« Ich legte den Joint in den Aschenbecher. Mir war schlecht. Was wollte ich überhaupt damit sagen? Am liebsten hätte ich laut geschrien. Ich wollte in den nächsten
Pick-up springen und mit Vollgas ins Nichts rasen, irgendwohin. Ich wollte mir Shawn und Carrie Lynn schnappen und mich in einer Höhle verstecken. »Ich fahre nicht.«
»Und ob du fährst, junge Dame«, sagte Tante Lydia. »Sonst verfluche ich dich.«
Ich starrte Lydia an. Ich war nicht abergläubisch, aber auch nicht dämlich. Ich wollte nicht verflucht werden.
»Du musst verschwinden, Julia«, sagte Katie unter Tränen. »Ich passe für dich auf Shawn und Carrie Lynn auf.«
Caroline zwinkerte noch immer heftig. »Er ist dir auf den Fersen! Er ist stinksauer! Du bist in großer Gefahr!«
Ich schüttelte den Kopf. Auch wenn ich mich noch so gerne auf eine Expedition an den Südpol begeben hätte, ich konnte nicht. Ich konnte Tante Lydia mit ihrem Krebs nicht im Stich lassen. Ich konnte Shawn und Carrie Lynn nicht im Stich lassen, sie aber genauso wenig mitnehmen. Vor dem Gesetz waren sie noch nicht meine Kinder. Und ich würde nicht die Familie verlassen, die ich endlich gefunden hatte.
Ich lebte so gerne in Golden, wo man meinen Namen kannte. Einige Menschen hier schienen mich zu mögen. Ich lebte gerne bei Tante Lydia und Stash. Ich liebte dieses Haus, die Hühner und die Schweine. Ich liebte meine Freundinnen. Ich liebte Dean Garrett. Ja, das tat ich wirklich. Ich liebte ihn von ganzem Herzen.
Ich arbeitete gerne in der Bücherei und liebte die Lesestunde. Ich war glücklich, wenn die Kinder und ihre Eltern sich freuten, mich zu sehen. Ich produzierte und verkaufte gerne Schokolade. Ich mochte sogar meine Zeitungsrunde.
Ich war glücklich, weil ich ein Leben voll mitfühlender Menschen hatte.
Ich würde sie nicht verlassen. Ich würde dieses Leben nicht opfern.
Da wurde ich sentimental. »Ich liebe euch alle. Ihr macht euch etwas aus mir. Ihr macht euch Sorgen um mich. Ich
werde nicht noch einmal vor Robert fliehen. Nein! Ich – fahre – nicht – weg!«
Tante Lydia protestierte, aber ich sah den Respekt und den Stolz in ihrem Blick.
Caroline sah aus, als würde sie wieder umkippen. Sie tauchte eine Serviette in ihr Wasserglas und legte sie sich auf die Stirn.
Katie weinte. »Dann wohn doch bei mir, auf Stashs Ranch. Dave und Scrambler passen auf dich auf.«
»Nein, danke, Katie.« Ich griff nach ihrer Hand. »Ich bleibe hier. Wo ich hingehöre.«
Mit fliegenden Fingern flocht Tante Lydia die Blumen in den Kranz. »Dann sehe ich mal besser zu, dass ich den Kranz schnell fertig mache. Aber ich verstecke ein Messer zwischen den Blumen, dann hast du immer eins bei dir, zusammen mit der Pistole, die du von jetzt an tragen wirst.«
»Du musst vorsichtig sein, Julia, ganz vorsichtig! Immer!«, mahnte
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