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Spiel mir das Lied vom Glück

Spiel mir das Lied vom Glück

Titel: Spiel mir das Lied vom Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
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schreiben. Ich brachte ein R zustande.
    Carolines schwaches Stöhnen traf mich wie ein Schlag.
    »Ist alles in Ordnung, Caroline?«, fragte Tante Lydia. »Vielleicht legst du dich besser hin? Möchtest du einen Wodka?«
    Katie nahm mich in den Arm. »Oh! Oh!«, sagte sie immer wieder. »Oh! Oh!«
    Ich schrieb das o. Caroline ächzte.
    Ich schrieb das b. Caroline schlug die Hände vors Gesicht.
    Ich wäre am liebsten davongelaufen. Hätte mich am liebsten in Tante Lydias Keller versteckt und Pot geraucht, bis ich nichts mehr mitbekam.
    Tante Lydia ballte die Hände immerfort zu Fäusten, dann beugte sie sich zu mir hinüber und nahm mich in den Arm. »Das reicht. Das reicht schon. Wir wissen, dass du verschwinden musst.«
    Ob ich nun krank bin oder unbedingt bestraft werden wollte, ich schrieb das e.
    Caroline schwankte. Ich überlegte, ob ich aufhören sollte, wusste aber, dass sie es nicht wollen würde.
    Ich schrieb das r, dann das t.
    Caroline fiel vornüber, schlang die Arme um die Beine und stöhnte leise.
    »Oh! Oh!«, rief Katie und versuchte, Caroline auf ihren Schoß zu ziehen. »Oh! Oh!«
    »Julia!«, flüsterte Caroline. »Du musst verschwinden.«
    Ich nickte.
    »Ich kann dir nicht sagen, wann er kommt, aber es dauert nicht mehr lange. Du bist nicht mehr von Violett umgeben, sondern von Schwarz. Alles ist schwarz. Ein schwarzer, gefährlicher Wirbel. Julia, es ist so gefährlich! Ich sehe ein dunkles Gebäude. Deinen Rücken. Ich sehe Vögel. Du bist allein.«
    Ich fühlte mich wie die Hauptfigur in einem billigen Horrorstreifen. Wieder zitterten Carolines Hände. Tante Lydia
stand auf und prüfte zum zigsten Mal, ob ihre Gewehre alle am Platz waren. Katie brach in Tränen aus. Wie sonderbar sollte das hier noch werden? Eine Hellseherin mit einem zuckenden Auge, eine kahle Frau, die ihre Waffen zählte, und eine weinende Meerjungfrau.
    »Ich kann nicht gehen –«
    »Julia, du verschwindest«, verkündete Tante Lydia und legte die Arme um mich. »Stash leiht dir einen von seinen Wagen, und du kannst meine. 38 und mein Gewehr mitnehmen. Fahr einfach los, mein Schatz, ins Blaue. Fahr in irgendeine Stadt. Wir rufen dich an, wenn Caroline meint, dass die Gefahr vorüber ist.«
    »O Julia!«, weinte Katie. »Das ist so furchtbar! Du musst gehen! O Mann, ich werde lesbisch!«
    Das lenkte uns alle einen Moment lang ab. Vom Horror zur Homosexualität. Dabei bildete ich mir ein, gesehen zu haben, wie Katie und Scrambler sich voller Zuneigung und Lust ansahen. »Du willst lesbisch werden? Warum das denn? Gefallen dir keine Schwänze mehr?«, fragte Tante Lydia.
    Die immer noch weinende Katie druckste herum. »Kann schon sein, dass sie mir noch gefallen, aber ich habe seit Jahren keinen guten Schwanz mehr gefühlt, und Männer können einem so viel Angst machen und so wehtun. Ich hab fast das Gefühl, dass es sie nur gibt, damit Frauen leiden müssen! Julia reist durch das halbe Land und wird diesen kranken Robert nicht los! Julia, du musst laufen, los!«
    Tante Lydia stand wieder auf und gab mir eine Pistole. »Vergiss nie, was ich dir gesagt habe, Julia: Immer draufhalten! Mittendrauf.«
    Caroline zog die Knie an die Brust, schwankte und legte sich dann auf den Boden. Katie beugte sich über sie und strich ihr durchs Haar.
    Ich hätte Caroline auch gerne geholfen, bekam aber inzwischen gar keine Luft mehr. Mein Sichtfeld verdunkelte sich von
den Rändern aus. Ich wusste, dass ich kurz vor einer Ohnmacht stand, und kämpfte, um nicht in diesen Abgrund zu stürzen.
    Verschwommen sah ich, wie Tante Lydia in den Keller ging. Als sie wieder auftauchte, reichte sie mir einen Joint, dann schob sie Caroline einen zwischen die Lippen und befahl ihr, tief einzuatmen.
    Wir beide gehorchten.
     
    »Das meinte ich ernst, dass ich lesbisch werde«, sagte Katie, als sie den letzten von den Keksen aß, die ich für sie gebacken hatte.
    Caroline saß blass auf einem der Stühle an Tante Lydias Küchentisch. Ihr rechtes Auge zwinkerte noch immer. Ich wollte mir nicht mal vorstellen, was das linke unter der Klappe veranstaltete.
    Tante Lydia hatte ihren kahlen Keks gegessen und band nun getrocknete Blumen zu einem Kranz für jede von uns. »Diese Kränze schützen uns vor dem gefährlichen Testosteron in der Luft«, erklärte sie und legte Bänder in drei Farben auf den Haufen von Trockenblumen. »Wir erwecken unsere Wildheit zu neuem Leben, wir wecken unsere Stärke, die in unserem Östrogen lebt, und damit besiegen wir die

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