Spiel mir das Lied vom Glück
Kindern. Langsam, aber sicher begannen sie, ihm zu vertrauen, auch wenn Carrie Lynn nicht viel sprach. Er brachte ihnen das Reiten und das Traktorfahren bei. Ich zeigte ihnen, wie man Schokolade machte.
Wahrscheinlich würden sie irgendwann einmal eine Kakaoplantage leiten.
Bei Dean fühlte ich mich sicher. Wenn er fort war, kehrte die alte Angst zurück. Dann war es, als stächen mir Hunderte eiskalter kleiner Messer in den Rücken. Regelmäßig fuhr die Polizei an unserem Haus vorbei. Ich achtete darauf, nur auf vielbefahrenen
Straßen unterwegs zu sein. In der obersten Schublade meiner Kommode war eine Pistole, und ich wusste, wo Tante Lydia die anderen versteckt hatte. Wegen der Kinder mussten wir sie wegschließen, aber ich hatte immer die Schlüssel bei mir. Stash war jeden Abend da, um Tante Lydia zu helfen.
Bei mir herrschte Alarmstufe rot, aber ich lebte noch. Doch manchmal muss man sich dem Bösen stellen, und irgendwann war mein Tag gekommen.
Einige Wochen später brachte ein erschöpfter Stash Tante Lydia ins Krankenhaus. Durch die Chemotherapie war sie geschwächt und ausgetrocknet und brauchte mehr Pflege, als wir leisten konnten. Dr.Sonnenstrahl hatte sie einbestellt, und überraschenderweise weigerte sie sich nicht, ihm zu gehorchen. »Dr.Sonnenschein ist ein alter Stinker«, sagte sie mit so schwacher Stimme, dass ich sie kaum verstand. »Ich gehe nur hin, weil er sagt, dass ich ihm fehle.«
Ich beugte mich zu ihr hinunter, umarmte sie und gab ihr einen Kuss. Ich versuchte, nicht zu weinen.
»Trag deinen Schutzkranz«, flüsterte sie mir zu. »Nimm ihn nicht ab! Das Messer ist auf der rechten Seite, direkt neben der orangen Schleife. Das Orange soll dir Mut geben.«
Ich nickte, bekam keinen Ton heraus.
Stash und ich waren viele Nächte lang wach geblieben und hatten Tante Lydia gepflegt. Ich machte mir so große Sorgen um sie, dass ich mich krank fühlte. Man kann ein wenig verrückt dabei werden, wenn man zusehen muss, wie jemand, den man mehr liebt als das eigene Leben, sich einer Chemotherapie unterzieht, wenn man mit seiner eigenen Angstkrankheit klarkommen muss und sich gleichzeitig fragt, wann ein Irrer zur Tür hereinspaziert kommt.
Ich wollte die Arbeit auf der Farm erledigen und mich dann nach Portland aufmachen. Katie würde das Wochenende über auf Shawn und Carrie Lynn aufpassen. Scrambler und Dave
wollten sich um die Tiere kümmern. Marie nähme Alphy und die Vögel in Pflege und würde, wie sie Tante Lydia versprach, sich die Zeit nehmen, mit Melissa Lynn und den Ferkeln zu plaudern.
Aus Respekt vor Tante Lydia setzte ich ihren schönen Schutzkranz auf und ging zu den Ladys in den Hühnerställen. Sie gluckten um meine Füße herum. Wie Tante Lydia mich gebeten hatte, hatte ich am Morgen etwas mehr Zeit mit Melissa Lynn und den Ferkeln verbracht. Sie würden nicht zu Weihnachten auf den Tisch kommen. Dafür gab es ein namenloses Schwein, wie Tante Lydia sich ausgedrückt hatte.
Als ich alle Eier eingesammelt hatte, drehte ich mich um und wollte den Karton in ein Regal stellen. Danach wollte ich ausmisten.
»Hallo, mein Brauereipferd!«
Die Worte schossen wie Eispickel durch meinen Körper. Ich bekam keine Luft. Selbst die Ladys verstummten.
Und dann begannen sie wie von Sinnen zu gackern, so als hätten sie meine furchtbare Angst gespürt. Sie gackerten, als ginge es um ihr Leben.
Ich drehte mich zu Robert um.
Er sah noch besser aus, als ich ihn in Erinnerung hatte. Früher hatten sich immer alle gewundert, wenn der schöne Robert mich als seine Freundin vorstellte. »Was will einer wie Robert denn mit so einer?«, hörte ich die Leute fragen.
Er war groß und sportlich und hatte schwarzes Haar, ein entschlossenes Kinn und durchdringende graue Augen. Er hätte jedes Titelbild zieren können. Aber wenn man genauer hinsah, erkannte man in seinem Blick eine beängstigende Seichtigkeit, Eitelkeit und einen wirklich alarmierenden Zorn.
Erstaunlich, dass ich mir anfangs eingeredet hatte, nichts davon zu bemerken.
»Lange nicht gesehen, Opossum.«
Ich hatte meine Pistole vergessen, fiel mir ein. In der Eile,
Tante Lydia zu verabschieden, hatte ich die Waffe im Schlafzimmer liegenlassen.
Ich machte zwei Schritte nach hinten, Robert drei Schritte vor. Dann blieb ich stehen. Ich würde nie wieder vor diesem Monster weichen, sagte ich mir. Nie wieder. Mein gesamter Körper war eiskalt.
»Was? Zunge verschluckt?« Er trat zwei Hühner zur Seite, als wären sie Bälle. Die
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