Spiel mir das Lied vom Glück
sagte: ›Unsere Tür ist immer offen für dich, Suzanna.‹«
Lara lachte, aber es war das bittere Lachen, das ich nun schon von ihr kannte. »Am nächsten Tag in der Schule kam die Älteste von den Rutulskys, Sharon, zu mir und sagte, sie hätten beim Abendessen für meine Mutter und mich gebetet. Zuerst war ich total beleidigt. Warum beteten die für mich, wo sie doch diejenigen waren, die in der Hölle schmoren würden, wie mein Vater sagte? Doch dann schaute ich Sharon in die Augen, und es sah aus, als würde sie jeden Moment anfangen zu weinen. Da wurde ich auch ganz traurig, weil ich alles hasste, mein Leben, meinen Vater und manchmal sogar meine Mutter, weil sie uns nicht beschützte. Sharon lud mich ein, bei ihr zu schlafen, aber ich durfte natürlich nicht.«
»Warum nicht?« Ich merkte, dass ich die Hände unbewusst so ineinander verkrallt hatte, dass sich die Fingernägel in meine Haut gruben.
»Weil die Rutulskys nie wieder in die Kirche kamen. In den Augen meines Vaters waren sie Heiden. Ungläubige Heiden. Meine Mutter sagte zu ihm: ›William, das glaube ich nicht.
Tabatha hat mir letztens noch Blumen gebracht und –‹ Mein Vater hielt meiner Mutter die Hand vors Gesicht. ›Hör auf, Frau! Sei leise! Ich verbiete dir, die Rutulskys vor den Kindern zu verteidigen. Spare dir deine lächerlichen Kommentare für die Zeit, wenn wir allein sind. Dann kann ich für deine verwirrte, unwürdige, aufsässige Seele beten. Du lässt dich immer so schnell in die Irre führen, Suzanna, und dein Mitleid ist wie immer völlig fehl am Platz.‹«
Lara schüttelte den Kopf. »Meine Mutter hielt den Mund und senkte den Kopf über den Teller.«
»Das heißt, dass dein Vater, ein Priester, der Gott und Jesus lieben und freundlich zu allen sein soll, jeden terrorisierte, der mit ihm zu tun hatte?«, sagte ich.
»Allerdings. So gut wie jeder war verdammt in alle Ewigkeit. Wenn sich jemand gegen ihn behauptete, ihn in Frage stellte, dann legte er die Hände zusammen, als würde er beten«, Lara machte es vor, »und sagte, er würde für den Betreffenden eintreten, damit Gott ihm das Licht zeige und ihn von seiner Dummheit erlöse, dass er unwürdig sei, Gottes Namen im Mund zu führen, solange er nicht bereute. Mein Vater benutzte das Beten als Waffe. Es war sein Mittel, anderen ein schlechtes Gewissen zu machen.«
»Tja, Kinder sind wirklich arm dran«, wiederholte ich. Lara hatte einen tobenden irren Vater, ich eine tobende irre Mutter gehabt. Vielleicht sollten wir sie mal miteinander bekannt machen. Entweder würden sie sich gegenseitig umbringen, oder Laras Vater würde der Sexsklave meiner Mutter werden.
»Am schlimmsten waren für ihn natürlich Homosexuelle«, fuhr Lara fort, noch immer nach draußen schauend. Sie erinnerte mich an einen Häftling, der aus dem Gefängnisfenster blickte. »Ich musste mich mit ihm ins Einkaufszentrum stellen und Broschüren gegen Homosexualität verteilen. Auch meine Brüder. Nachts lasen wir uns diese Flugblätter durch. Darin stand, jeder Schwule hätte über hundert Partner, würde über
kleine Kinder herfallen, Tiere dafür umso mehr lieben, insbesondere Schafe, kurz: Schwule seien pervers. Detailliert wurden die Zerbrechlichkeit der Rektalwände und die Gefahren von Oralsex beschrieben. In den Flugblättern stand, dass die Schwulen Amerika zerstören wollten und geheime Pläne hätten, die Macht im Land an sich zu reißen, und schon Schulkindern zeigen wollten, wie man schwul wird.
Manchmal kamen Leute und gaben meinem Vater die Hand, aber die meisten warfen die Broschüren fort, in den Dreck, in den Müll. Wir wurden auch verunglimpft, mein Vater wurde beschimpft, aber er stand einfach mit seiner Bibel da und las mit voller Lautstärke daraus vor. Meistens gab es so einen Aufruhr, dass die Ladenbesitzer uns baten zu gehen. Meine Brüder und ich waren immer so froh, wenn die Ladenbesitzer kamen. Wir konnten nicht schnell genug abhauen. Und auf dem Heimweg im Auto erzählte unser Vater dann, wie ekelig Schwulensex sei, er erfreute uns mit anschaulichen Schilderungen, Dinge, die kein Kind hören sollte.«
Lara drehte sich zu mir um. Ihr Gesicht war rot. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie mein Vater ausflippte, als mein Bruder ihn aus New York anrief und sagte, er sei schwul, schon seit seinem fünfzehnten Lebensjahr. Ich dachte, mein Vater würde in unserem heiligen kleinen Pfarrhaus auf der Stelle einen Herzinfarkt bekommen.«
»Was geschah dann?«
»Er enterbte
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