Spiel mir das Lied vom Glück
überzogene Lebewesen.
Und überall standen Gemälde von Lara, auf Staffeleien und gegen die Wand gelehnt.
Ich schaute mich um, staunte über die Bilder, sah mir die gegen die Wand gelehnten Leinwände an. Ich hatte einen Blick für hochwertige Kunst. Oft war ich von meinem Chef gelobt worden, weil ich die vorhandene oder mangelnde Qualität der Arbeit eines unbekannten Malers erkannt hatte.
Bei einem Bild hielt ich die Luft an. Es zeigte einen nackten Mann, um den sich eine Sonnenblume wand. Die Blume war größer als er. Es war das Bild, das Caroline an einem unserer Psycho-Abende beschrieben hatte. Damals hatte es sich lächerlich angehört, obwohl Caroline mit großem Ernst gesprochen hatte.
Ich hatte das Gefühl, der Boden unter meinen Füßen würde leicht beben. Es konnte natürlich sein, dass Caroline gehört hatte, wie Lara ihr jüngstes Gemälde geschildert hatte, aber ich hatte Laras Reaktion auf Carolines Prophezeiung beobachtet. Sie war verdutzt, aber nicht überrascht gewesen. Außerdem hatte Lara gesagt, sie habe noch niemanden auf den Dachboden geführt. Caroline konnte das Bild also noch nicht gesehen haben.
So ist das wahrscheinlich, wenn man länger mit Hellsehern zu tun hat. Man ist verdutzt, aber nicht überrascht über das, was sie sagen.
Manche Bilder waren nur gemalt, wie das des nackten Mannes mit der Sonnenblume, bei anderen hatte Lara verschiedene Materialien verwendet, zum Beispiel zerknüllte Zeitungen, Knöpfe, Konfetti, Zweige, ein winziges Vogelnest, Kreide, aus Büchern gerissene Seiten, getrocknete Blumen.
Die Wirkung war verblüffend.
Ich hielt die Luft an. Donnerwetter! Diese Frau war eine unglaubliche Künstlerin! Wieder schaute ich mich um. Dieser Raum passte zu Lara, nicht die sterilen Zimmer unten. Nicht die langweilige Perfektion. Dieses Atelier war ursprünglich, gefühlsbetont und sprühte vor Energie. Es wirkte lebendig, springlebendig, als sei eine Seele aus einem Käfig gehüpft und vor künstlerischer Begeisterung explodiert.
»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll … «
»Du musst nichts sagen, Julia.« Lara suchte verstreute Pinsel und Farben zusammen. Ich merkte ihrem Tonfall an, dass sie ungefähr so viel Selbstvertrauen in Bezug auf ihre Bilder besaß wie ich auf meine Fähigkeit, Robert entkommen zu können.
»Das ist unglaublich«, sagte ich. Ich sprach ganz leise, vermutete, dass sie mich gar nicht verstehen konnte. Ich war so beeindruckt, so baff, dass ich kaum ein Wort herausbekam.
»Ach, bitte, Julia.« Lara sah mich an, und ihre feinen klassischen Gesichtszüge waren skeptisch. »Du musst das nicht mir zuliebe sagen.«
Ich wandte mich zu ihr um und sah ihr in die Augen. »Ich sage das nicht dir zuliebe, Lara. So was habe ich selbst schon erlebt, und ich kann es nicht leiden. Ich kann diesen scheinheiligen, bevormundenden Blick nicht ausstehen, wenn andere mich anlügen, damit ich mich besser fühle. Ich habe gesagt, deine Sachen sind unglaublich, weil es stimmt. Und ich muss es wissen, ich halbe lange in Galerien gearbeitet.«
»Meine Bilder gefallen dir?« Sie klang so hoffnungsvoll, so unsicher. Genau wie ich. Ich fühlte mich Lara eng verbunden.
»Und wie! Deine Arbeiten sollten ausgestellt werden, nicht hier auf dem Dachboden verstauben. Du solltest andere daran teilhaben lassen, vielleicht könntest du etwas verkaufen.«
Lara schüttelte den Kopf. Ich sah, wie Frust und Wut in ihr aufstiegen. Sie breitete ihre dünnen Arme aus und zeigte auf die Leinwände. »Wie soll das bitte schön gehen?«, fuhr sie
mich an. »Hast du dir das hier mal angeguckt? Da sind nackte Männer und Frauen drauf. Hier zum Beispiel!« Sie hob ein Bild in die Höhe, auf dem ein Mann zwischen zwei Frauen lag. Eine Frau war älter, hatte graues Haar und trug eine Brille. Neben ihr waren winzige lachende Kinder, ein Haus und ein älteres Pärchen, das nach Eltern oder Schwiegereltern aussah.
Die jüngere Frau hatte wallendes blondes Haar und große Brüste. Neben ihr sah man eine kleine Yacht, Schmuck, Geld und ein schickes Auto. Der Mann in der Mitte war hübsch, aber wirkte leer, egoistisch, unsympathisch. Die beiden Frauen warfen sich böse Blicke zu.
»Was ist mit meinen Nackten im Garten?«, fragte Lara und griff zu mehreren Leinwänden. Auf einem Bild war der Oberkörper einer nackten Frau dargestellt, die im Garten stand und ein Vogelhäuschen in die Luft hielt. Sie trug einen Strohhut und lächelte. Um ihren Kopf kreisten Vögel.
Auf einem anderen
Weitere Kostenlose Bücher