Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spiel mir das Lied vom Glück

Spiel mir das Lied vom Glück

Titel: Spiel mir das Lied vom Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
Vom Netzwerk:
meinen Bruder. Hat seit zehn Jahren nicht mehr mit ihm gesprochen. Wahrhaft christlich, hm?« Lara gab einen erstickenden Laut von sich. »Am Anfang schickte mein Bruder Karten und Briefe, aber mein Vater sendete alles zurück. Jetzt meldet er sich nur noch telefonisch bei mir und bei meinem anderen Bruder, der auch in Oregon wohnt. Jerry und ich treffen uns ungefähr zweimal im Jahr mit Peter und seinem Freund. Wir gehen ins Museum, machen Spaziergänge, gehen essen, lernen ihre Freunde kennen. Die beiden sind
wirklich nett und mit Sicherheit bessere Menschen als mein Vater.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Da auch ich eine kaputte Kindheit gehabt hatte, wusste ich, dass Schweigen manchmal der beste Trost ist. Eigentlich gab es nichts, das den Schmerz und die anerzogene Angst linderte.
    »Peter und Steve fehlen mir richtig. Manchmal habe ich das Gefühl, als wären sie die Einzigen, mit denen ich reden kann.«
    »Was machen sie in New York?«, wollte ich wissen.
    Laras Gesicht hellte sich auf. »Sie haben ein phantastisches Loft in Greenwich Village. Peter ist stellvertretender Vorsitzender bei einem Finanzinvestor, und Steve ist Künstler und unterrichtet an öffentlichen Schulen. Sie haben ganz tolle, aufgeschlossene Freunde, die ständig super Partys feiern.«
    »Dann kennen sie bestimmt jede Menge Künstler.«
    »O ja.« Jetzt erzählte eine ganz andere Lara. »Ja, sie sind mit allen möglichen Künstlern befreundet.«
    »Du hast bestimmt vieles mit ihren Künstlerfreunden gemeinsam, Lara, du hast mir doch erzählt, dass du auch gerne malst.« Ich sollte meine Worte noch bereuen. Zu sagen, dass Lara »gerne malte«, war dasselbe wie zu sagen, Beethoven hätte gerne auf dem Klavier herumgeklimpert.
    »O ja, ich male gerne.« Lara sah mich an, und große Tränen schwammen in ihren blauen Augen. »Scheißegal, Julia, komm mal mit nach oben! Außer Jerry habe ich noch niemand mit auf den Dachboden genommen, also lach bitte nicht!«
    »Ich lache nicht.« So etwas würde ich niemals tun. Aber ich konnte mir auch nicht vorstellen, was auf dem Dachboden sein mochte.
    Hinter Lara stieg ich die Treppe hinauf. Wir gingen den Flur hinunter, vorbei an zwei Zimmern. Das eine war das Büro von Laras Mann, das andere war ein Nähzimmer. Ich warf einen Blick ins Schlafzimmer. Auch hier: alles perfekt. Kahl und
freudlos. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand in dem Raum schlief, der aussah wie Lara und sich wie sie benahm.
    Lara nahm einen Schlüssel vom Türrahmen, schob ihn ins Schloss und drückte die Tür auf. Wir stiegen zehn Stufen auf den Dachboden. »Die Frauen von der Kirche kann ich hier nicht reinlassen, das sage ich dir«, meinte Lara, und ihr entfuhr ein hyänenartiges Lachen. Sie knipste das Licht an. Ich folgte ihr und blieb auf der Schwelle stehen.
    Wäre ich eine Comicfigur in einem Film, hätte meine Kinnlade jetzt bis zum Hosenbund heruntergehangen.
    Vor mir erstreckte sich das weiträumigste, farbenfrohste Atelier, das man sich vorstellen konnte. Das war Lara, wie sie leibte und lebte. »Der Vorbesitzer hat den Raum umbauen und Dachfenster einsetzen lassen«, erklärte sie. Zum ersten Mal an diesem Tag wirkte sie entspannt. »Er brauchte ein Büro unter dem Dach, handelte offenbar mit Pornographie. Das haben mir zumindest zwei Nachbarn erzählt. Außerdem war er Diakon in einer der örtlichen Kirchen.«
    Lara hatte jede der vier Wände mit einem Wandgemälde verziert. Eines zeigte die Skyline von New York, betrachtet vom Dach eines großen Hochhauses. Auf allen Dächern standen Menschen aller Altersklassen und Hautfarben. Manche spielten Instrumente, andere tanzten, viele waren allein und schauten in den Himmel.
    Auf einem anderen Gemälde hatte Lara eine Picknickszene dargestellt, an dem berühmte historische und lebende Persönlichkeiten teilnahmen: Abraham Lincoln, Rosa Parks, Tina Turner, Oprah Winfrey, Bono, die Richterin Sandra Day O’Connor, Nelson Mandela und die Fliegerin Amelia Earhart.
    An die dritte Wand hatte sie einen gewaltigen Quilt gemalt. In jedem Quadrat war eine Familie, sie kamen aus aller Herren Länder: Japaner, Chinesen, Afrikaner. Manche lachten, manche weinten, einige waren müde, andere fröhlich.
    Die vierte Wand zeigte eine Szene aus einer Kunstgalerie.
Auf jeder Staffelei stand ein anderes Bild. Jedes war von Lara signiert.
    Selbst die Decke war hellblau bemalt, mit Sonnenblumen. Doch sie sahen aus wie die von van Gogh: bekümmerte, unglückliche, mit Farbe

Weitere Kostenlose Bücher