Spiel mir das Lied vom Glück
lediglich mein Kuchen, ein Mixer und ein Kaffeebecher. Alles makellos. Leblos. Von der Küche ging es ins Wohnzimmer, an das sich eine kleine Essecke anschloss. Auf dem Tisch lag eine Plastikdecke mit einem Muster aus kleinen roten Blumen. Ich begab mich zur Schiebetür, die auf den Hinterhof ging, und zog die Vorhänge beiseite. Licht strömte herein wie in einen Tunnel.
Es war gegen sechs Uhr, aber noch hell und freundlich draußen. Es wollte mir einfach nicht gelingen, die Lara, die ich am ersten Abend bei Tante Lydia getroffen hatte, mit der Frau in Verbindung zu bringen, der dieses Haus gehörte.
Aber ich sollte noch ihre andere Seite kennenlernen.
»Hallo, Julia«, sagte sie, als sie in die Küche kam. Sie trug eine beige Freizeithose und einen grünen Pulli mit Rundhalsausschnitt. Um ihren Hals hing eine kleine Goldkette mit einem goldenen Kreuz. Lächelnd betrachtete sie den Kuchen. »Hm, lecker. Was hast du diesmal gezaubert?«
Ich erklärte es ihr. Dann plauderten wir höflich.
Wir sprachen über nichts von Bedeutung. Oberflächliche Gespräche wie dieses führen täglich Millionen von Menschen. Nichts Tiefschürfendes. Nichts Umstrittenes. Bloß nichts von sich selbst preisgeben. Manchmal ist so ein Geplauder tröstlich und beruhigend. Manchmal findet man dadurch Zugang zum Gegenüber.
Aber es kann auch ein Ablenkungsmanöver sein.
Ich ließ Lara ihr Ablenkungsmanöver durchziehen.
»Und, wie läuft es in der Bücherei?«
»Gut, solange ich dem Geier aus dem Weg gehe.« Ich dachte an Shawn und Carrie Lynns Gesicht, als ich ihnen die Socken geschenkt hatte. »Doch, die Arbeit ist schön, es gibt da zwei Kinder, die eine drogenabhängige Mutter und keinen Vater haben und nicht regelmäßig essen und gebadet werden. Sie werden von der Mutter oder jemand anderem geschlagen, aber das Jugendamt will nicht einschreiten.«
»Was?« Laras Stimme stieg um eine Oktave.
Ich erzählte ihr von Shawn und Carrie Lynn. Lara begann zu weinen. Sie nestelte an ihrem Kreuz herum. Es sah aus, als ob sie es abreißen wollte.
»Kinder sind arm dran«, sagte Lara. »Die armen Mäuse!« Sie lehnte die Stirn gegen die Fensterscheibe. Lara war jung und schön, doch die Traurigkeit zog ihre Gesichtszüge nach unten.
»Ja, Kinder sind arm dran«, stimmte ich ihr zu.
»Als Kind kann man sich nicht wehren, man ist völlig hilflos. Man kennt es ja nicht anders. Wenn mein Vater nicht zum Gebetskreis ging, hat er meinen Brüdern und mir jeden Abend zwei Stunden lang Predigten gehalten, uns angeschrien oder zum Weinen gebracht, wenn wir die Bibelverse nicht auswendig konnten.
Ich weiß noch, wie er sich unglaublich über eine Familie namens Rutulsky aufregte. Die hatten die beste Bäckerei in der Stadt, gingen aber nicht zur Kirche. ›Verdammt in alle Ewigkeit‹, schrie er herum. ›Die Rutulskys sind verdammt in alle Ewigkeit!‹ Dann zitierte er stundenlang aus der Bibel, steigerte sich da rein, während wir Kinder und meine Mutter auf der Couch sitzen und ihm zuhören mussten. Einmal kamen die Rutulskys tatsächlich zur Kirche. Ich weiß noch, dass die Kinder total entsetzt waren, als sie wieder gingen, und dass mich die Eltern voller Mitleid ansahen.«
»Voller Mitleid?«
Lara schaute immer noch nach draußen. Ich sah, dass sie noch mehr abgenommen hatte. Man konnte sie nicht mal mehr dürr nennen.
»Ja, voller Mitleid. Mein Vater hatte eine Predigt über Kindererziehung gehalten und gesagt, dass man nicht mit der Rute sparen dürfe. Er verurteilte alle, die ihre Kinder nicht mit harter Hand erzogen, er behauptete, Frauen müssten ihren Männern gehorchen, sich ihnen unterwerfen, gehorsam
sein, der Mann sei der Herr im Haus, solche Sachen. Natürlich polterte er mit voller Lautstärke, brüllte seine Lektion in die Kirche. ›Gehorsam, ihr Frauen, seid gehorsam! Oder wollt ihr in Sünde leben? Gott wird euch bestrafen, wenn ihr euch nicht dem Willen eures Mannes beugt!‹«
Ich nickte. Ich hatte gesehen, wie sich meine Mutter ihr Leben lang Männern unterwarf. Gewalttätigen, bösartigen, dominanten Männern. Und ich hatte gesehen, wie manche Männer sich ihr unterwarfen. Krankhaft. Auch wenn die Unterwerfung nichts mit der Bibel zu tun hatte.
»Die Rutulskys waren ziemlich schnell nach dem Gottesdienst verschwunden, aber Mrs.Rutulsky blieb noch kurz stehen und nahm meine Mutter in den Arm. Meiner Mutter schossen Tränen in die Augen, kurz hielt sie Mrs.Rutulskys Hand fest. Ich hörte, wie sie zu meiner Mutter
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