Spiel mir das Lied vom Wind
zog ihr die Decke über die Schultern und verließ das Zimmer, leise, wie er es betreten hatte.
Einen Augenblick nur hatte er vor der Wäschekommode gezögert, weil er wusste, dass Josefine in einer der Schubladen Geld hortete. Aber dann hatte er sich abgewendet. Das Geld stand Marie zu. Sie hatte es sich wirklich verdient. Und er wusste, dass sie mit ihm teilen würde. Es bestand keine Notwendigkeit, es zu stehlen. Was er getan hatte, war genug.
Als er die Treppen hinunterhastete, erleichtert, wie reibungslos es gelaufen war, musste er auch daran denken, dass Marie und er nun den Hof erben würden und endlich schalten und walten konnten, wie sie wollten. Und dass Marie jetzt am Abend nicht mehr müde sein würde. Nicht mehr zu müde. Er lächelte voller Vorfreude. Das Beste von allem aber war, dass das Gebimmel der elenden Kuhglocke nie wieder ertönen würde. Aber das sollte ein Irrtum sein.
Das Kissen schüttelte er aus, bevor er es unten im Wohnzimmer mitten auf die Couch drapierte und ihm in der Mitte einen Knick versetzte, wie Marie es immer machte. Die feuchten Flecken zeigten zur Sofalehne. Ermattet ließ er sich daneben fallen, schaltete den Fernseher an und knipste sich mit der Fernbedienung durch die Programme.
Bei einem Bericht über Windräder blieb er hängen. Über große, richtige Windräder in einem Windpark in Südamerika. Weiße Räder vor roter Erde und dunkelblauem Himmel. Eine Vision. Von verweigerten Baugenehmigungen und gierigen Investoren war die Rede und davon, dass im Prinzip wieder nur die großen Stromkonzerne von der kostenlosen Energiequelle Wind profitieren würden.
Das wäre bei dem Kleinwindrad
Lakota
nicht der Fall gewesen. Eine Baugenehmigung hatte er für das
Lakota
auch nicht gebraucht, das war das Gute daran. Er wäre sein eigener Investor gewesen. Er wäre … er hätte … aus der Traum. Elmar schüttelte den Kopf. Er konnte es immer noch nicht fassen, und er fragte sich, wer außer ihm noch, diesem Dr. Kistermann aufgesessen war. Würde jemand den Mut haben, es zuzugeben und zur Polizei zu gehen? Er nicht. Nicht er. Er würde alles standhaft leugnen, Josefine war seine einzige Zeugin. Und Josefine war jetzt tot.
Als Marie am Abend mit den Mädchen zurückkam, war Elmar vor dem Fernseher eingeschlafen. Er war zur Seite gesunken. Sein Kopf war auf ein Kissen gefallen. Sein Mund stand offen. Etwas Speichel war auf das schöne Kissen getropft. Im Fernseher lief ein alter Western. Elmar liebte Western.
Sicher hatte ihre Mutter ihn herauf-und heruntergejagt wegen tausend Kleinigkeiten. Armer Kerl, dachte Marie. Josefine konnte wirklich erbarmungslos sein. Dabei hatte sie ihr alles parat gelegt, wonach sie normalerweise verlangte. »Psst«! Marie legte den Finger auf den Mund und schickte Sophie und Linda auf ihre Zimmer. Sie selbst sah nach ihrer Mutter.
Kurz darauf läutete die Kuhglocke Sturm und Elmar auf dem Sofa fuhr hoch. Es dauerte eine Weile, ehe er wusste, wo er sich befand. Und noch eine weitere Weile, ehe er begriff, dass das scheppernde Geräusch von der Kuhglocke kam.
Im selben Augenblick sprang er hoch, stürzte aus dem Wohnzimmer, rannte hinaus über den Hof, am Traktor vorbei auf den Feldweg zu, taumelnd und schreiend. Er hatte alles nur geträumt? Josefine lebt noch?
Eine Reaktion, die er später nur schwer seiner Marie erklären konnte. Er sprach von einem bösen Traum. Und das war es ja auch. Marie wollte nicht wissen, was darin vorkam.
8. Kapitel
Wir sind Freunde von Nacht, sagt Kollege immer. Freunde ist nicht das richtige Wort. Wir können uns hundertprozentig auf einander verlassen, jeder ist dem anderen mindestens einen Gefallen schuldig, jeder hat dem anderen schon Kaution bezahlt. Das schweißt zusammen.
Heute ist Sonntag, der 16. August. Trotzdem Arbeit. Kollege und ich haben vor zwei Stunden das Auto in Schleiden gefunden, den weißen VW-Bus, und das Kennzeichen überprüft. Er steht auf einem Parkplatz an der Blankenheimer Straße. Dieses Mal stimmt alles. Aber wann der Fahrer kommt, weiß kein Mensch.
Der Bus steht weit hinter dem letzten Haus, dort, wo es keine Straßenlaternen mehr gibt, dort, wo keiner um diese Zeit mehr langgeht.
Gut gemacht!
Wir haben den Bus präpariert, jetzt stehen wir uns die Beine in den Bauch. Es ist weit nach Mitternacht. Sommer, Gott sei Dank. Es regnet nicht. Aber schön ist das Warten trotzdem nicht. Wir rauchen, um uns die Zeit zu vertreiben. Von Natur aus sind Kollege und ich gesegnet mit einer gleich
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