Spiel mit dem Feuer
hier bleiben.«
Als er den Hubschrauber auf den Sims
hinuntersetzte, musste ich daran denken, was er am Vortag zu Hy gesagt hatte,
und ich zitierte: »Ohne auch nur einen von den tanzenden Engeln aus dem Takt zu
bringen.«
Er grinste mich an und sagte: »Raus
hier. Ich komme wieder, wenn ich so weit bin.«
Ich stieg hinunter, duckte mich und
rannte aus dem Rotorwind, sah dann zu, wie er den Vogel vorwärts neigte und
weich ins Leere abkippte. Er stieg auf und war dann hinter den Felsgipfeln
verschwunden. Als Motor- und Rotorgeräusch verklungen waren, lag der Canyon so
still da wie zu Beginn aller Zeiten.
Ich trat an den Rand des Simses und sah
hinunter. Rotbraune Wände fielen steil in eine tiefe, grüne Schlucht ab. Nichts
bewegte sich dort unten, außer Wolkenschatten. Ich schaute auf und sah
dunkelbäuchige Kumuluswolken herandriften.
Der Boden zu meinen Füßen war mit
Geröll übersät. Ich hob einen mittelgroßen Stein auf und warf ihn in den
Canyon. Er verschwand ohne jedes Geräusch. Ich dachte an die Sprungstelle, wo
sich die verzweifelten Totengeister lautlos ins Meer stürzten. Ich sammelte
noch mehr Steine auf und warf sie in Richtung des gegenüberliegenden Felssims,
aber all meine Versuche gerieten viel zu kurz. Schließlich setzte ich mich hin,
ließ die Beine ins Nichts baumeln und lauschte der Stille.
Es gab Zeiten, da ich, als lebenslange
Großstadtbewohnerin, Stille als einschüchternd empfunden hatte, weil sie mich
zu intensiv mit meiner eigenen Unwichtigkeit konfrontierte. Hy, der die Berge
und die Wüste liebte, hatte mir die Schönheit solcher Stille gezeigt. Jetzt
ermöglichte es mir Tanner durch seine Abwesenheit, die Stille von Jahrtausenden
und Aberjahrtausenden zu entdecken. Und statt mich an meine eigene
Sterblichkeit zu erinnern, sagte sie mir, dass ich Teil von etwas war, was
vielleicht überhaupt kein Ende hatte.
Genieße den Augenblick, McCone. Es
könnte für eine ganze Weile der letzte friedliche sein.
18
Uhr 45
Der Shack war ein reiner
Einheimischentreff, ein kleines Grill-Lokal in einem Holzhäuschen an einer der
gewundenen Nebenstraßen von Waipuna, mit Tischen auf Plankenterrassen, die sich
den Abhang zum Strand hinunterschachtelten. Kein Touristendekor — überhaupt
kein nennenswertes Dekor, außer Kerzen in Windlichtern und blütenberanktem
Gitterwerk. Tanners Stammplatz war der dritte Hocker an der Terrassenbar, und
als er und ich dort ankamen, hob ein dunkler, drahtiger Mann auf dem vierten
Hocker grüßend die Hand.
»Das ist der Typ, den Sie über Funk
gehört haben«, sagte Russ. »Joey Chang. Joey, das ist Sharon McCone. Ich bin
mit ihr die Inselrunde geflogen, sie ist eine tolle Passagierin. Und ich hab
gehört, sie ist auch eine tolle Pilotin.«
Chang grinste und schüttelte mir die
Hand. »Hubschrauber?«
»Nein.«
Tanner sagte: »Kommt noch. Ich bin mit
ihr durch die Canyons, und sie hat richtig Spaß dran gehabt.«
»Guter Anfang«, erklärte Chang, während
wir uns auf zwei Hocker schwangen und zwei Bier sich aus dem Nichts vor uns
materialisierten. »Wenn er Ihnen seinen Gratisstunden-Köder hinschmeißt,
sollten Sie anbeißen. Er ist der Beste, echt.«
»Köder, hm?« Ich fixierte Tanner mit
zusammengekniffenen Augen. Er mimte den Unschuldigen.
»Macht er immer, um das Geschäft
anzukurbeln. Aber ‘ner Lady wie Ihnen gibt er bestimmt Rabatt.«
Tanner sagte: »Hey, verrat nicht alle
meine Geheimnisse, ja?«, und nach einer Trinkpause setzte er hinzu: »Du und
Drew Wellbright, ihr wart doch mal Kumpel, oder?«
»Drew? Klar. Wir waren Freunde, bis vor
sieben, acht Jahren, wo er dann total aus der Spur kam.«
»Drogen, oder?«
»Ach, er hat schon mal was genommen,
ein bisschen von dem, ein bisschen von dem. Aber er hat mehr verkauft als
selbst konsumiert. Nee, der Punkt war, dass der Typ einfach ein Rad ab hatte.
So reiche Eltern, und er hat nicht mehr in ihrem Haus schlafen wollen. Hat
irgendwo auf der Insel kampiert. Wie ich ihn das letzte Mal gesehen hab, hat er
drunten auf dem Zuckerrohrland gehaust, Richtung Barking Sands. Hatte sich in
der alten Zuckermühle von seiner Familie eingenistet. Und dann ist er ganz von
Kauai weggegangen.«
»Wohin?«
»Keine Ahnung. Wieso fragst du?«
»Nur, weil sein Name heut irgendwo gefallen
ist.«
»Hey, weißt du, jemand hat kürzlich von
ihm geredet.« Chang dachte kurz nach. »Wer war das noch mal? Verdammich!«
»Jemand hier auf der Insel?«
»Nee. Das war... yeah! So ein Typ, der
auf der
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