Spiel mit dem Mörder
die in einer niedrigen Vase neben der Lampe standen, mischte sich mit dem Duft der Frau.
Es war eine hübsche, durch und durch zivilisierte Szene, dachte Eve.
»Ich bin erst seit gestern Abend in New York«, fing Anja an. »Ich hatte ganz vergessen, wie sehr mir diese Stadt gefällt. Das Tempo und die Energie. Die Hitze, die sie selbst während der endlosen Wintermonate verströmt. Ihr Amerikaner füllt alle Räume aus und findet trotzdem immer mehr.«
»Woher sind Sie gekommen?«
»Montreal.« Sie nippte an ihrer Schokolade und balancierte dabei die Untertasse mit derselben femininen Geste, die Eve schon oft bei Dr. Mira hatte bewundern können, zwischen zwei Fingern ihrer linken Hand. »Lieutenant, ich fürchte, dass Kenneth Ihnen gegenüber nicht ganz ehrlich gewesen ist. Ich hoffe, Sie machen ihm deshalb keinen Vorwurf. Er hat dabei an mich gedacht.«
»Ms Carvell, ich brauche Ihre Erlaubnis, um dieses Gespräch mitschneiden zu können.«
»Oh.« Anja blinzelte verwirrt, nickte jedoch sofort. »Ja, natürlich. Ich nehme an, Sie brauchen eine offizielle Aussage von mir.«
»Rekorder an, Peabody.« Als Eve sie über ihre Rechte und Pflichten aufklärte, riss Anja überrascht die Augen auf, fragte dann jedoch in einem beinahe amüsierten Ton: »Dann stehe ich also anscheinend unter Mordverdacht?«
»Ich halte mich nur an die vorgeschriebenen Verfahrensweisen. Sie dienen Ihrem Schutz. Haben Sie alles verstanden, was ich gesagt habe, Ms Carvell?«
»Ja, Sie haben sich sehr verständlich ausgedrückt.«
»Ms Carvell, weshalb sind Sie gestern aus Montreal hierher nach New York gekommen?«
»Kenneth … Kenneth Stiles hat sich mit mir in Verbindung gesetzt. Er hat gesagt, er müsste mich dringend sehen. Er war ziemlich niedergeschlagen und vor allem völlig verängstigt. Er glaubt, Sie denken, dass er für den Tod von Richard Draco verantwortlich ist. Lieutenant Dallas, das ist total unmöglich.«
»Und warum?«
»Kenneth ist ein warmherziger, sanfter Mensch.«
»Nur, dass dieser warmherzige, sanfte Mensch Richard Draco vor vierundzwanzig Jahren krankenhausreif geschlagen hat.«
Anja schnalzte ungeduldig mit der Zunge und stellte ihre Tasse unsanft auf der Untertasse ab. »Die Unbesonnenheit der Jugend. Weshalb wird er so hartnäckig von einer einzelnen törichten Tat verfolgt, die er vor einer halben Ewigkeit aus Liebe und Sorge um das Wohlergehen eines anderen Menschen begangen hat?«
»Wir alle werden von allen unseren Taten ein Leben lang verfolgt.«
»Das glaube ich nicht. Ich selbst bin der Beweis dafür, dass man ein Leben aus reiner Willenskraft grundlegend verändern kann.« Sie ballte die Faust. »Lieutenant Dallas, als ich Kenneth gestern Abend traf, war er verängstigt und erregt. Ich schwöre Ihnen, wenn er wirklich getan hätte, wessen er von Ihnen verdächtigt wird, hätte er mich niemals kontaktiert.«
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
»Gegen acht. Wir hatten uns in einem kleinen Club getroffen. Ich glaube, er hieß Streuner oder so.«
»Den kenne ich.«
»Wir haben etwas getrunken und uns miteinander unterhalten. Dabei hat er mir gesagt, dass er Ihnen meinen Namen gegeben hat und dass Sie sich wegen meiner Jahre zurückliegenden Beziehung zu Richard für mich interessieren.«
Ihr Lächeln erblühte nicht weniger strahlend als die Rosen in der Vase, die schräg neben ihr auf dem kleinen Tischchen stand. »Wissen Sie, er wollte mich warnen, damit ich mich verstecken und mir dadurch das Ungemach eines Treffens wie diesem ersparen kann. Ich habe ihn, so gut es ging, beruhigt und ihm gesagt, dass ich mich bei Ihnen melde.«
»Und nach dem Treffen hat er Sie nicht noch einmal kontaktiert?«
»Nein. Ich hoffe, dass ich nach dem Gespräch mit Ihnen noch einmal mit ihm reden und ihn dahingehend beruhigen kann, dass Sie nicht länger glauben, er hätte irgendetwas mit Richards Tod zu tun.«
»Kenneth Stiles hat gestern Abend versucht, die Stadt zu verlassen.« Eve sah Anja aufmerksam ins Gesicht. »Als er verhaftet werden sollte, hat er versucht zu fliehen und wurde dabei verletzt.«
»Nein. Nein, nein.« Anjas Arm zuckte quer über den Tisch. Sie packte Eve am Handgelenk und fragte entsetzt: »Verletzt? Wie schlimm? Wohin haben Sie ihn gebracht?«
»Er liegt im Krankenhaus. Sein Zustand ist stabil.
Die Ärzte erwarten, dass er sich vollständig erholt. Warum, Ms Carvell, versucht ein unschuldiger Mann zu fliehen?«
Anja zog den Arm zurück, stand auf und trat ans Fenster. Sie
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