Spiel mit dem Mörder
kluges, gleichmäßiges Gesicht, und an ihrer schmalen Goldkette hing die gleiche tropfenförmige Perle wie die, die sie als Ohrschmuck trug.
In Eves Augen war sie das perfekte Beispiel weiblicher Eleganz.
»Vielen Dank, dass Sie mich heute Morgen dazwischengeschoben haben.«
»Als Augenzeugin habe ich ein persönliches Interesse an dem Fall.« Dr. Mira programmierte ihren AutoChef auf Tee. »In all den Jahren, in denen ich für die Polizei tätig gewesen bin, habe ich niemals selber einen Mord erlebt.« Mit zwei Tassen des blumig duftenden Gebräus kehrte sie zu Eve zurück. »Richard Draco wurde im Grunde aber nicht ermordet. Er wurde hingerichtet, Eve.«
Sie nahm Eve gegenüber Platz und reichte ihr den Tee, von dem sie beide wussten, dass Eve ihn niemals trank. »Ich befasse mich mit Mord und Mördern. Ich höre ihnen zu, analysiere sie, erstelle ihr Profil. Als Ärztin kenne, verstehe und respektiere ich den Tod. Die Vorstellung jedoch, einen Mord mit eigenen Augen mit angesehen zu haben, ohne mir bewusst zu sein, dass er wirklich echt war … Nun, das macht mir zu schaffen. Damit komme ich nur schwer zurecht.«
»Ich fand das Vorgehen des Täters oder der Täterin äußerst raffiniert.«
»Na ja.« Der Hauch eines Lächelns huschte über Dr. Miras Gesicht. »Wir beide betrachten diese Dinge aus verschiedenen Perspektiven, nehme ich an.«
»Ja.« Eve stand oft mit blutbefleckten Stiefeln direkt über den Toten und sah ihnen ins Gesicht. Jetzt erst kam ihr der Gedanke, dass es die Psychologin vielleicht überfordert hatte, als sie an dem Abend im Theater in die Sicherung des Tatorts mit einbezogen worden war.
»Es tut mir Leid. Das hatte ich nicht bedacht. Ich habe Ihnen keine Wahl gelassen und Sie einfach dazu gezwungen, sich den Toten aus der Nähe anzusehen.«
»Sie hätten keinen Grund gehabt, darüber nachzudenken. Und auch ich habe zu dem Zeitpunkt keinen einzigen Gedanken darauf verwandt, ob mich die direkte Konfrontation mit einem Mordopfer eventuell überfordern würde, sondern mich auf meine Arbeit konzentriert.« Sie schüttelte den Kopf und trank einen Schluck Tee. »Sie waren sehr rasch hinter der Bühne. Wie schnell ist Ihnen aufgefallen, dass das Messer echt war?«
»Leider nicht schnell genug, um den Mord zu verhindern. Ich habe inzwischen mit den Verhören angefangen. Als Erstes konzentriere ich mich auf die Schauspieler.«
»Ja, dieser Mord war sowohl von der Methode als auch vom Timing und dem Ort des Geschehens her regelrecht theatralisch.« Nun, da sie die analytische Distanz zu dem Verbrechen zurückgewonnen hatte, lehnte sich Dr. Mira bequem in ihrem Sessel zurück und ging die Szene in Gedanken durch. »Es wäre also durchaus vorstellbar, dass ein Schauspieler oder jemand, der Schauspieler werden wollte oder will, der Täter ist. Andererseits wurde die Tat sorgfältig geplant und sauber ausgeführt. Das Vorgehen Ihres Mörders, Eve, war also nicht nur kühn, sondern auch bis ins Kleinste durchdacht.«
»Musste der Täter zwingend sehen, wie der Mord geschieht?«
»Ja, ich glaube, dass er miterleben wollte, wie Draco im Rampenlicht das Messer in die Brust gestochen wird und das Publikum erschreckt nach Luft ringt. Meiner Meinung nach war das für ihn genauso wichtig wie Dracos Tod. Er hat die Aufregung genossen. Und sein Schock und sein Entsetzen infolge der Tat waren sorgfältig geprobt.«
Sie dachte nach und fügte hinzu: »Das Ganze lief einfach zu glatt, um nicht geprobt worden zu sein. Draco galt als einer der größten Schauspieler unserer Zeit. Ihn zu töten war nur der erste Schritt. Der zweite war, ihn, wenn auch vielleicht nur in Gedanken, zu ersetzen.«
»Sie sagen, der Mord war beruflich motiviert.«
»Ja. Zugleich jedoch war er sehr persönlich. Wenn es sich bei unserem Täter wirklich um einen Schauspieler, eine Schauspielerin oder jemanden mit schauspielerischen Ambitionen handelt, gehen berufliche und persönliche Motive wahrscheinlich Hand in Hand.«
»Der Einzige, der auf den ersten Blick beruflich von Dracos Ableben profitiert, ist Michael Proctor, die Zweitbesetzung des Vole.«
»Richtig, aber wie Sie selber sagen, auf den ersten Blick. Wenn man genauer hinschaut, profitieren alle an dem Stück Beteiligten von Dracos Tod. Es gibt einen enormen Medienrummel, die Namen sämtlicher Darsteller prägen sich den Leuten unauslöschlich ein, und alles in allem wurde die Aufführung durch die Ermordung des Hauptdarstellers zu einem unvergesslichen Erlebnis. Ist
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