Spiel mit dem Tod (German Edition)
an. Er steht auf dem Dach ganz vorne am Geländer. Meine Chefin ist nahe bei ihm und redet mit ihm. Dann dreht er sich von ihr ab. Sie versucht, ihn festzuhalten, doch bevor sie ihn erwischt, schwupp, fliegt er übers Geländer. Nicht in den Himmel, sondern auf den Betonboden. Fehlt eigentlich nur noch, dass er die Hände zum Himmel hoch streckt. Herr, ich komme! Die Szene ist zwar nicht scharf, aber für unsere Zwecke reicht es. Die Story bringen wir gross raus. Da machen wir eine Dokushow draus. Wie ist es dazu gekommen? Gab es Anzeichen für einen Selbstmord? Ferrari, wissen Sie eigentlich schon, wie der Mann heisst?»
«Wie? Nein, keine Ahnung. Und wenn ich es wüsste, wären Sie der Letzte, der es erfährt.»
«Was mich nicht sonderlich erstaunt», schmunzelte Stalder.
«Um den Tathergang genau analysieren zu können, beschlagnahme ich die Aufnahmen.»
Stalder lachte laut heraus.
«Machen Sie sich nicht lächerlich, Ferrari. Innerhalb einer Stunde habe ich den Film wieder zurück. Sparen wir uns also den Mist von wegen Beschlagnahmung und so.»
«Wann wollen Sie die Bilder in Ihrem Latrinensender bringen?»
«Gute Bezeichnung! Aber beleidigen können Sie mich damit nicht. Vorerst werden wir nur eine Meldung bringen. Wie die anderen Stationen auch. Ich will einen fundierten Hintergrundbericht machen. Mit allem Drum und Dran. Voll auf diesen Sprung aufgebaut. Mann, dafür gibt es den Pulitzer-Preis!»
«Und an seine Frau und seine Kinder, wenn es die gibt, denken Sie überhaupt nicht?», schrie Ferrari und packte Stalder am Kragen.
«Sachte, Mann. Was ist denn mit Ihnen los? Nur keine Tätlichkeiten.»
Ferrari liess ihn augenblicklich los.
«Sicher denke ich an seine Frau und seine Kinder. Pietätvoll in jeder Lebenslage! Sobald Sie mir sagen, wie der Tote heisst, stehe ich mit einem grossen Blumenstrauss bei der trauernden Witwe vor der Tür und lege an der Beerdigung einen riesigen Kranz aufs Grab. Ist doch was, oder?»
«Und immer die Kamera mit dabei.»
«Wie es sich für einen Latrinenjournalisten gehört.»
Ferrari gab sich geschlagen.
«Garantieren Sie mir, dass Sie die Bilder heute nicht senden?»
«Bin ich denn blöd, Ferrari? Bevor wir nicht die ganze Story im Kasten haben, gehen wir bestimmt nicht auf Sendung.»
«Ich hätte gerne eine Kopie des Bandes.»
«Aber sicher, Herr Oberkommissär. Das geht in Ordnung. Halten Sie mich dafür auf dem Laufenden?»
«Das würde Ihnen so passen.»
«War ja nur ein Versuch. Aber Sie kennen den Selbstmörder, stimmts?»
«Wie kommen Sie darauf?»
«Ich habe Sie beobachtet, als Sie die Leiche anschauten.»
«Und wenn es so wäre?»
«Dann sollten Sie mit offenen Karten spielen. Oder wollen Sie, dass wir der Witwe unser Beileid aussprechen, bevor Sie es getan haben?»
«Unterstehen Sie sich!» Ferrari wurde wütend. «Gut, ich kenne den Mann. Aber ich werde einen Teufel tun und Ihnen den Namen nennen. Und noch etwas, Stalder.»
«Oh, der Herr Kommissär wird ausfallend. Sollen wir das aufnehmen?»
«Nur zu, Stalder. Keine falschen Hemmungen. Und wenn Sie vor mir bei der Witwe auftauchen oder versuchen, mir zu folgen, dann garantiere ich Ihnen, dass Sie sich mit dem Falschen anlegen und es bereuen werden.»
«Oh! Eine Drohung.»
«Ein Versprechen, Stalder, nur ein Versprechen.»
«Und wie glauben Sie, dass Sie die Meinungsfreiheit unterbinden können, Ferrari?»
«Keine Sorge, nicht mit polizeilichen Massnahmen.»
«Aha! Daher pfeift der Wind!» Stalder nickte bewundernd. «Der Vischer-Clan lässt grüssen!»
«Das ist Ihre Interpretation.»
«Also gut, ich gebe Ihnen einen Vorsprung. Bis zum Mittag unternehme ich nichts, danach garantiere ich für nichts.»
«Das reicht mir. Vielen Dank für Ihr grosszügiges Entgegenkommen, Stalder.»
Der Journalist tippte mit zwei Fingern an seinen unsichtbaren Hut. Anselm Stalder wusste, dass Ferrari nicht bluffte und seine Beziehungen würde spielen lassen. Vornehme Zurückhaltung war angesagt. Sich mit dem Geldadel anzulegen, wäre höchst ungeschickt gewesen. Schon gar nicht für eine Fernsehstation, die vom Klatsch und Tratsch lebte und finanziell noch auf wackeligen Beinen stand.
Der Kommissär vergewisserte sich, dass die Kollegen nach Zeugen suchten, deren Personalien und Aussagen aufnahmen und den Kameramann sowie Denise Grieder einvernahmen. Er würde sich später noch intensiv mit der Inhaberin von TV1 unterhalten. Sie war die Letzte, die mit Hans Rost gesprochen hatte. Vielleicht hatte
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