Spiel mit mir!: Roman (German Edition)
Aus-der-Haut-Fahren. War sie nun eine professionelle Pokertrickserin oder eine fürsorgliche, verständnisvolle, herzliche Frau, die Mikes Vater helfen wollte? Entsprach es den Tatsachen, dass sie keine andere Wahl gehabt hatte?
Nein! Er zerknüllte das Formular, das er eben falsch ausgefüllt hatte, weil er so unkonzentriert war. Sie waren zu verschieden. Er konnte ihr unmöglich über den Weg trauen. Und sie verursachte Komplikationen in seinem Leben, auf die er gern verzichten konnte.
Er würde ihr ein letztes Mal beistehen und dann die Scheidung einreichen. So. Nachdem das beschlossen war, konzentrierte er sich wieder auf seine Arbeit.
Kapitel 9
Sobald die morgendliche Rushhour vorüber war, brach Amber in Mikes Wagen auf nach Stewart. Sie hatte eine Stunde Zeit, um über ihre Entscheidungen nachzudenken – und über alles, was sie in ihrem Leben gerne anders gemacht hätte. Aber Reue änderte jetzt auch nichts mehr. Sie konnte nur nach vorne blicken und die Hoffnung nicht aufgeben. Diese Haltung hatte sie sich bereits früh im Leben angeeignet. Wann immer ihr Vater sie bei ihren Großeltern abgesetzt hatte und wieder einmal auf eine seiner »Geschäftsreisen« gegangen war, hatte sie gespannt auf seine Rückkehr gewartet, und er hatte sie nie enttäuscht. In der Zwischenzeit hatte sie stets das Beste aus ihrer Situation gemacht und die Zeit bei ihren Großeltern genossen. Bis sie sich schließlich endgültig ihrem Vater angeschlossen und ihn fortan begleitet hatte. Damals hatte sie einfach eine Entscheidung getroffen, und damit hatte die nächste Phase ihres Lebens begonnen. So, wie sie auch jetzt dringend eine neue Phase beginnen wollte.
Die Fahrt zu Mikes Vater verlief ereignislos. Amber betrachtete die Landschaft und staunte erneut über die Unterschiede zwischen der trockenen Wüste des Westens und dem üppigen Grün an der Ostküste. Sie hatte von Herbst und Winter gehört, bislang aber keine der beiden Jahreszeiten selbst erlebt. Sie fragte sich, ob es dieses Jahr wohl endlich soweit sein würde.
Je weiter sie sich von Boston und Mike entfernte, desto nervöser wurde sie bei der Vorstellung, bei Edward Corwin aufzutauchen. Sie umklammerte das Lenkrad fester.
Ja, sie hatte Mikes Vater sympathisch gefunden, aber er war doch gewissermaßen ein Einsiedler. Und sie hatte keinen Abschluss in Psychologie, selbst wenn sie glaubte , ihn zu verstehen. Sie bezweifelte, dass er sie mit offenen Armen empfangen würde. Nun, sie war ein geselliger Mensch, und sie hatte vollstes Vertrauen zu ihren Instinkten. Und ihr Instinkt sagte ihr, dass Edward Unterstützung brauchte. Das Schicksal lieferte ihr die Möglichkeit, Mike und seinem Vater etwas Gutes zu tun, und sie hatte fest vor, diese Chance zu nutzen.
Vielleicht sollte sie ein kleines Mitbringsel besorgen, um ihn für ihr Eindringen in sein Heim zu entschädigen. Laut ihrer Wegbeschreibung war Salem die nächste Ausfahrt, dort würde sie bestimmt ein passendes Geschenk für Edward finden. Also verließ sie den Highway, um einen kurzen Boxenstopp einzulegen, und spazierte wenig später durch eine kleine Einkaufsstraße im Zentrum.
Sie passierte eine Geschenkartikel-Boutique, in der es allen möglichen Schnickschnack gab. Nicht gerade das Richtige für einen bärbeißigen Mann wie Mikes Vater. Auch am Spirituosenladen gleich daneben ging sie vorüber – Mike würde es bestimmt nicht zu schätzen wissen, wenn Edward ihretwegen demnächst auch noch ein Alkoholproblem bekam.
Das letzte Geschäft war ein New-Age-Shop namens Crescent Moon. Interessiert spähte Amber in die völlig überladene Auslage. Der Laden war kaum größer als ein begehbarer Schrank und wirkte reichlich exzentrisch. Perfekt. Amber öffnete die Tür und trat ein. Glöckchen bimmelten über ihrem Kopf, ein angenehmer Duft stieg ihr in die Nase. Weihrauch, dachte sie, und sah sich um. Ein Sammelsurium an Kuriositäten, soweit das Auge blickte, daneben erspähte sie aber auch vertraute Gegenstände – Silberschmuck, Türkis und andere Arten von Halbedelsteinen.
Sie ließ die Finger leicht über einen der Traumfänger gleiten, die von den Regalen hingen, und fragte sich, was Edward wohl davon halten würde. Ein Traumfänger schützte ja bekanntlich vor bösen Träumen – ob das auch für böse Geister galt?
Eine stattliche Frau mit glatter Haut und pechschwarzem Haar begrüßte sie mit den Worten: »Willkommen im Crescent Moon. Ich bin Clara
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