Spiel ohne Regeln (German Edition)
Tausende verhungern und sterben.
Die Angst war ein nützliches Werkzeug. Er hatte das schon als Kind in den Straßen Kiews gelernt. Ein Anführer musste grausam und rücksichtslos sein und die Furcht wie ein chirurgisches Instrument bedienen, um Fäulnis herauszuschneiden, bevor sie sich ausbreiten und töten konnte. Es war seine Aufgabe, dieses Instrument zu führen. Tatsächlich war es seine heilige Pflicht.
Und wenn er es auch noch genoss, nun … wer wollte einem überlasteten, hart arbeitenden Mann ein gelegentliches kleines Vergnügen missgönnen?
»Hast du etwa eine Affäre, Becca?«
Marlas scharfe Stimme ließ Becca vor Schreck zusammenfahren. Das Mobiltelefon in ihrer Hand landete laut scheppernd auf der Computertastatur.
»Wie bitte?«, fragte sie und lief tomatenrot an. »Warum sagst du so etwas?«
Marla verdrehte die Augen und verzog die Lippen zu einem steifen, freudlosen Lächeln. »Oh, keine Ahnung. Könnte es daran liegen, dass du dein Handy gerade zum zehnten Mal in acht Minuten auf SMS gecheckt hast? Oder daran, dass du heute Morgen erst um 10:25 Uhr zur Arbeit erschienen bist?«
»Ich habe es dir doch gesagt, Marla. Ich musste ein Auto mieten! Ich habe dich heute früh angerufen, um dir Bescheid zu geben! Der Verleih macht erst um neun auf, und es hat eine Ewigkeit gedauert, den ganzen Papierkram auszufüllen!«
»Oder könnte es an deiner neunzigminütigen Mittagspause liegen?«, fuhr Marla ungerührt fort. »In der du einen Abstecher ins Einkaufszentrum gemacht hast und einen Zwischenstopp bei … « Sie beugte sich vor und zog geschickt die Einkaufstüte unter dem Schreibtisch hervor, wo Becca sie diskret versteckt hatte. »Sieh an! Ich hätte es wissen müssen. Victoria’s Secret. Ja, was haben wir denn da?« Sie zog eine Handvoll Dessous heraus, an denen noch die Etiketten baumelten. Ein hautfarbenes, mit Bändern besetztes Bustier, passende zarte Strapse, lange Strümpfe, mit einer kunstvoll gestickten Mittelnaht. »Grundgütiger, Becca!«
»Das ist privat!« Becca griff nach der Unterwäsche und stopfte sie zurück in die Tüte. »Das geht dich gar nichts an!«
»Nun, wenn du die Arbeitszeit für deine eigenen persönlichen Besorgungen nutzt, fürchte ich, dass es mich sehr wohl etwas angeht.«
Becca platzte der Kragen. »Marla, ich kann an einer Hand abzählen, wie oft ich in den drei Jahren, seit ich hier arbeite, überhaupt eine Mittagspause gemacht habe!«
»Ja, ich weiß.« Marla verschränkte ihre ledrigen, sonnenbankgebräunten Arme vor der Brust und schürzte mit verärgerter und zugleich besorgter Miene die Lippen. »In der Regel bist du absolut zuverlässig. Ich würde dich sogar als Perfektionistin bezeichnen. Und genau deshalb irritiert mich dieses unzuverlässige Verhalten so sehr. Wie konntest du Jeromes Haus sperrangelweit offen lassen? Und dann verlierst du auch noch seine Schlüssel … Wo war das gleich noch mal? Im Wald, um Himmels willen? Und du rufst nicht einmal an, nachdem du wieder in der Stadt warst, und erscheinst auch nicht zur Arbeit! Und das tagelang!«
»Ich sagte es dir bereits«, erwiderte Becca schmallippig. »Das mit Jeromes Haus tut mir furchtbar leid. Ich hatte … einen vorübergehenden Aussetzer.«
Das war die beste Erklärung, die sie anzubieten hatte, nur stellte sie Marla nicht zufrieden. Becca zermarterte sich das Hirn, wie sie das Geschehen rechtfertigen könnte, nur würde alles lahm und konstruiert klingen. Und gelogen. Leider eignete sich die Wahrheit nicht, um sie zu erzählen.
He, Marla! Ich habe Jeromes Haustür nicht abgeschlossen oder ihm die Schlüssel zurückgebracht, weil ich vor einem blutrünstigen Verbrecher um mein Leben gerannt bin. In Begleitung eines Sexgott-Kommandeurs, der mich noch heute Nacht in einem Hotelzimmer treffen und verführen wird und der mich angefleht hat, nicht zur Polizei zu gehen, da ich andernfalls eines grauenvollen Todes sterben werde . M - hm. Ja. Schon klar.
Sie hatte die dunkle Vorahnung, dass diese saftige, schillernde Geschichte nicht dazu beitragen würde, um ihre weitere Anstellung im Club zu gewährleisten.
»Hmpf«, brummte Marla. »Ich hoffe in jedem Fall, dass dieser Aussetzer nur vorübergehend war und dass so etwas nie wieder vorkommt. Ich hätte jedes Recht, dich wegen dem, was vergangene Woche passiert ist, zu feuern. Der Grund, warum ich es noch nicht getan habe, ist, dass du bisher immer zuverlässig warst und eine Menge durchgemacht hast, womit ich diese scheußliche
Weitere Kostenlose Bücher