Spiel ohne Regeln (German Edition)
Mund halten und die Fassung bewahren. Was sie getan hatte. Bisher.
An diesem Punkt konnten sie nur noch die Beine unter die Arme nehmen und das Beste hoffen – hoffen, dass Zhoglos Mannschaft ausreichend dezimiert war, er keine weiteren Verluste riskieren wollte und sie für den Moment laufen ließ. Sie mussten hoffen, dass er sie nicht mit dem Boot von seinen Männern verfolgen ließ, denn dann säße er selbst schutzlos und verletzbar auf der Insel fest. So viel hing von der Hoffnung ab. Aber die Hoffnung war ein hinterhältiges Miststück. Nick misstraute ihr zutiefst. Sie entpuppte sich jedes Mal wieder als Enttäuschung.
Er brachte Becca so ruckartig zum Stehen, dass sie stolpernd auf die Knie fiel. Dann zerrte er sie weiter hinter sich her, sprang vom Bohlenweg und schlüpfte ins Unterholz. Sie gab Schmerzenslaute von sich, als Dornen und Steine ihre nackten Füße aufrissen.
Scheiß drauf! Füße heilten. Tote nicht.
Er hetzte weiter, kämpfte sich durch dichtes Geäst, gab alle Heimlichkeit auf. Jetzt ging es nur noch um Schnelligkeit. Und er hatte Schnelligkeit unten im Wasser deponiert, falls sie es dorthin schafften, bevor sie erschossen wurden.
Er hatte lange und gründlich darüber nachgedacht, ob er sich dieses Schlupfloch überhaupt gönnen sollte, so als könnte der damit implizierte Mangel an Bereitschaft, es bis zum bitteren Ende durchzuziehen, ihm Unglück bringen. Und so war es ja auch gekommen. Er hätte sich ein Beispiel an den Befehlshabern antiker Streitmächte nehmen sollen, die hinter ihren Truppen Feuer entzündeten. Kein Rückzug möglich.
Seine letzte Chance, etwas über Svetis Verbleib zu erfahren, war vertan. Dafür wollte er alles opfern, was er besaß, jeden Tropfen seines eigenen Herzbluts.
Aber er hatte es nicht über sich gebracht, Beccas Tod dafür in Kauf zu nehmen.
Am Ufer tat sich vor ihnen der Horizont auf, der verglühende Sonnuntergang färbte den Himmel, die Gerüche nach Fisch und Seegras, das Gurgeln des Wassers hüllten sie ein. Es gab keinen Strand, kein Dock, nur weiße Wurzeln, die sich wie Knochen dem dunklen Wasser entgegenreckten, das unter ihnen wogte und platschte.
Nick glitt geräuschlos hinein, dann umfasste er Beccas Taille in der Erwartung, dass sie das Gewicht verlagern würde, um ihm zu helfen. Stattdessen klammerte sie sich stocksteif und bebend an einem Baum fest. Kostbare Sekunden verrannen und waren für immer verloren.
Er hob die Hände, und Verärgerung loderte hinter seiner äußeren Ruhe auf. »Du hast zwei Sekunden, um dich zu entscheiden«, sagte er. »Komm mit mir, und zwar sofort, oder geh zurück zu ihnen! Bitte um Vergebung! Setz dein schönstes Lächeln auf! Schau, wie weit es dich bringt!«
Sie legte die zitternden Hände auf seine Schultern. Er hob sie nach unten.
Das eisige Wasser ließ sie nach Luft schnappen, dann watete sie unbeholfen hinter Nick her und stolperte in dem dunklen Gewässer immer wieder über große Steine.
Sie glitt aus und wäre untergetaucht, hätte Nick sie nicht aufgefangen. Trotzdem war sie jetzt nass bis zu den Achselhöhlen und klapperte vor Kälte mit den Zähnen.
Na toll! Hätte sie nicht schon unter Schock gestanden, wäre es spätestens jetzt so weit. Er duckte sich in die niedrige Höhle, die durch ein paar tote, ins Wasser gefallene Bäume entstanden war, machte das getarnte Zodiac-Futura-Schlauchboot los, das er sich von Seth Mackey geliehen hatte, und zog es heraus.
Ein fantastisches Spielzeug. Er musste sich selbst so eines zulegen, falls er das hier überlebte. Ein kraftvoller Außenbordmotor. Optimal proportionierte Schlauchkörper und hydrodynamischer Auftrieb, um über die Wasseroberfläche zu gleiten.
Er hob Becca in das Boot. Sie rollte hinein wie ein Sack Kartoffeln. Nick machte sich darauf gefasst, Lichtkegel zwischen den Bäumen aufblitzen zu sehen oder Schüsse zu hören, und kletterte schnell hinterdrein.
Nichts. Zu schön, um wahr zu sein.
Geschmeidig erwachte der Motor mit einem leisen Brummen zum Leben. Nick steuerte in tieferes Wasser. Er hielt sich dicht an der Küste, bis sie um die Kurve waren, dann gab er Gas.
Becca war es noch nie in ihrem Leben so kalt gewesen. Sie hätte sich eine derartige Kälte nicht mal vorstellen können. Sämtliche Muskeln ihres Körpers zogen sich einzeln zusammen, in dem Versuch, ihr Wärme einzuhauchen. Schwerfällig kämpfte sie sich aus ihrer kauernden Haltung hoch.
Der Wind peitschte ihr ins Gesicht, fuhr in ihre nassen Haare und
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