Spiel ohne Regeln (German Edition)
vergangenen Stunden stürmten mit übelkeiterregender Wucht von Neuem auf sie ein. Er operierte – falls man es so nennen konnte – mit der tödlichen Präzision eines Profis.
Die Blase ihrer verzweifelten Tapferkeit zerplatzte. Becca fühlte sich wieder eingeschüchtert. Sie nickte knapp und drückte sich in die Decke des Bootes.
Er wandte sich ab. Der Motor sprang dröhnend an. Das Boot gewann an Fahrt und jagte über die unsteten, windgepeitschten Wellen.
Vielleicht war es genug, den Tag lebend überstanden zu haben. Über ihren Stolz konnte sie sich später Gedanken machen.
Becca hielt während der restlichen Überfahrt nach Crane Cove den Mund. Nick war dankbar für diese kleine Gnade. Die Eishöhle in seinem Kopf eignete sich perfekt für bestimmte komplexe Geistestätigkeiten wie die Flugbahn einer Kugel oder Windvektoren zu berechnen, aber sie war keine gute Voraussetzung, um sich mit einer gestressten, hysterischen Frau auseinanderzusetzen.
Sie kamen um eine Biegung, und die Lichter von Crane Cove breiteten sich vor ihnen aus. Es würde also keine wilde Verfolgung durch Rennboote, keinen Kugelhagel geben. Sie waren fast zu Hause. Es war unheimlich, wie viel Glück sie gehabt hatten.
Als Erstes musste er Becca loswerden, sie dorthin zurückschaffen, wo sie hingehörte, anschließend würde er sich mit seinem persönlichen Versagen stellen müssen.
Nick steuerte in den Jachthafen. Die Luft schien rein zu sein. Er hatte überlegt, einen Liegeplatz in Shepherd’s Bay zu mieten, was näher lag, aber der Hafen dort war klein, und deshalb war es viel wahrscheinlicher, dass die Leute Kommentare zu seinem Boot abgeben oder seinen Van bemerken würden. Crane Cove war keine geschäftige Metropole, dennoch war es um einiges größer als Shepherd’s Bay.
Und sie würden auffallen. Er war klatschnass, blutbesudelt und hatte eine fast nackte Frau im Schlepptau. Jeder, der sie sah, hätte dem Privatdetektiv, den Zhoglo mit Sicherheit auf sie ansetzen würde, eine Menge zu erzählen. Nick hatte eine falsche Identität benutzt, um den Liegeplatz zu mieten. Wie es aussah, würde diese Identität in Zukunft unbrauchbar sein, falls sie dort eine Überwachungskamera hatten. Er hasste es, eine falsche Identität aufgeben zu müssen, denn sie waren teuer.
Er navigierte das Schlauchboot zu seinem Liegeplatz. Dämmerlicht, keine Geräusche. Ein gewöhnlicher Abend in einer gewöhnlichen Stadt. Gut. Er stieg aus dem Boot und zog es an einer Leine näher an das Dock, bevor er Becca ein Handzeichen gab. Zähneknirschend wartete er eine gefühlte Ewigkeit, bis sie sich aufrappelte und herauskletterte.
Wie zu erwarten war, rutschte die Decke verführerisch nach unten und enthüllte ihre Aufmachung. Sie sah aus, als wäre sie gerade dem Playboy entstiegen: nackte Titten, transparenter Stoff, der ihre festen Brustwarzen umschmiegte, ein Dreieck dunkler Schamhaare. Mit einer eiskalten Hand nahm sie seine. Sie schwankte auf den Beinen wie ein neugeborenes Fohlen.
»Was jetzt?«, fragte sie. Ihre Stimme war heiser und rau vom Wind.
Er schnappte sich die Decke, wickelte Becca darin ein wie einen Burrito, dann hob er sie auf seine Arme. Sie protestierte strampelnd, aber verpackt, wie sie war, erübrigte sich jeder Widerstand.
»Wir reden in meinem Van«, murmelte er.
»In deinem Van?« Sie versteifte sich in seinen Armen. »Warte! Gehen wir denn nicht zur Polizei? Wir müssen ihnen doch sagen, was passiert ist, oder?«
Er barg die Nase an ihrem duftenden Haar und registrierte beiläufig, dass sie noch immer nach Veilchen roch, obwohl sie nach Salz schmeckte. »In meinem Van«, beharrte er. »Wo man uns nicht hören und sehen kann.«
»Aber ich … aber wir … «
»Ich verspreche dir, dass ich dich bei der nächsten Polizeiwache absetze, wenn du das noch immer willst, nachdem wir uns unterhalten haben«, log er. »Indianerehrenwort.«
Das beruhigte sie so weit, dass er schnell auf den Stegen des verlassenen Hafens vorankam. Auch das dunkle Einkaufsviertel war wie ausgestorben. Die leere Straße vor dem Tor zum Hafen wurde in regelmäßigen Intervallen von orangefarbenen Blinklichtern in ein mattes Licht getaucht. Weit und breit keine Menschenseele. Er eilte zu dem langen Schotterstreifen, der sich am Wasser entlangzog und dem Jachthafen als Parkplatz diente.
Ein Stück die Straße hinauf war eine Bar. Nick bemerkte das Flackern eines großen Fernsehbildschirms, hörte das tiefe Dröhnen von Männerstimmen, die wie aus
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